Kürzlich wurde ein ila-Redakteur auf einer attac-Veranstaltung über die linken Regierungen in Lateinamerika gefragt, warum er denn in seinem Vortrag nicht erwähnt hätte, dass Venezuela sein Öl nicht mehr auf dem Weltmarkt, sondern zu günstigen Konditionen an seine karibischen und lateinamerikanischen Nachbarn verkaufe. Weil das so nicht sei, konnte er da nur antworten, Venezuela verkauft weiterhin 95 Prozent seines Öls auf dem Weltmarkt (80 Prozent gehen allein in die USA) und nur fünf Prozent werden zu günstigen Preisen über Projekte wie Petrocaribe oder die Verträge mit linken Kommunalverwaltungen in Mittelamerika abgegeben. Diese Episode ist keineswegs untypisch, wir erleben ähnliches immer wieder. Was die linken Regierungen Lateinamerikas machen bzw. machen können, wird hierzulande maßlos überschätzt.
Sicher, keine der Mitte-Links-Regierungen, auch nicht die „moderaten“ in Argentinien, Brasilien und Uruguay, hat die neoliberale Politik ihrer Vorgängerinnen fortgeführt oder gar noch verschärft, wie das Rot-Grün in der BRD getan hat. Es wurde nicht weiter privatisiert, in einigen Fällen – etwa die Wasserversorgung und die Post in Argentinien oder jüngst die Öl- und Gasförderung in Bolivien – wurden Privatisierungen rückgängig gemacht bzw. Unternehmen wieder mehrheitlich in öffentliches Eigentum überführt. Bei der Agrarreform in Venezuela wurde in sehr bescheidenem Umfang brachliegendes Land von Großgrundbesitzern enteignet und an Landlose oder Kleinbauern/bäuerinnen übergeben, ähnliches dürfte in absehbarer Zeit auch in Bolivien geschehen. Aber weitergehende Umverteilungen und Eingriffe in Eigentumsverhältnisse hat es nicht gegeben und wird es wohl in absehbarer Zeit auch nicht geben. Nicht einmal die Einführung einer progressiven Besteuerung von Einkommen, die in den Programmen linker Bewegungen, wie etwa der Frente Amplio in Uruguay, gefordert wird, konnte bislang durchgesetzt werden. Steuern werden weiterhin fast ausschließlich auf Konsum, d. h. über Mehrwertsteuer und nicht auf Einkommen erhoben.
Die ökonomischen Handlungsspielräume der linken Regierungen sind begrenzt. Sie können langfristige Verträge, die ihre Vorgängerinnen mit internationalen Unternehmen und Banken getroffen haben, nicht einfach rückgängig machen, weil sie dann vor Institutionen wie der WTO oder internationalen Gerichten verklagt und regresspflichtig gemacht würden. Sie sitzen – mit Ausnahme des von der Ölpreisentwicklung profitierenden Venezuela – weiterhin in der Schuldenfalle, jedes Quartal werden in jedem Land Zinszahlungen in mindestens dreistelliger Millionenhöhe fällig, Gelder, die dringend für Investitionen in die öffentliche und soziale Infrastruktur investiert werden müssten. Selbst das arme, völlig ausgeblutete Haiti, wo 60 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen müssen, hat 2005 allein 22,9 Prozent seines Staatshaushalts für den Schuldendienst aufbringen müssen. Täglich sterben dort Menschen, weil das Geld, das für ihr Essen oder ihre Medikamente gebraucht würde, an internationale Banken fließt. Welchen Spielraum hat unter diesen Bedingungen die neue Linksregierung unter René Préval, zumal wenn noch ausländische Truppen im Land stehen?
Die Länder Lateinamerikas sind in den Weltmarkt integriert und von ihm abhängig, das gilt inzwischen zumindest partiell auch für Cuba. Was die linken oder Mitte-Linksregierungen aber sehr wohl tun können, ist, den völligen Ausverkauf ihrer natürlichen (Rohstoffe) und gesellschaftlichen (öffentliche Unternehmen) Reichtümer stoppen und versuchen, bessere Bedingungen bei der Vermarktung ihrer Ressourcen herauszuschlagen. Hierfür sind die Bedingungen heute günstiger als noch vor zehn Jahren. Unter anderem aufgrund der wachsenden Nachfrage Chinas und anderer asiatischer Ökonomien steigen seit einiger Zeit die Preise für viele Rohstoffe. Damit fortschrittliche Regierungen aber wenigstens diese Gewinne für ihre Projekte einsetzen können, müssen sie erst einmal drankommen, denn bislang profitieren vor allem internationale Förderunternehmen von den steigenden Preisen. Die neue bolivianische Regierung unter Evo Morales hat mit ihrer Nationalisierungsankündigung vorgemacht, wie es geht, Konzerne zu Verhandlungen über bessere Vertragsbedingungen für die Produzentenländer zu zwingen. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf andere Länder. Nur zwei Wochen später kündigte die ecuadorianische Zentrumsregierung die Verträge mit dem US-Konzern Occidental und setzte höhere Steuern und Abgaben für die Erdölförderer fest.
Die Propagandaoffensive in den Mainstreammedien gegen die lateinamerikanischen Regierungen, die versuchen, die Gewinne der Konzerne zu begrenzen und mehr Geld für die soziale Entwicklung ihrer Länder zu bekommen, hat längst begonnen. Dagegen müssen wir auftreten und verstärkt dafür kämpfen, dass die Ausplünderung unter dem Vorwand der Verschuldung endlich aufhört!