Dreißig Jahre sind für eine politische Gruppe eine sehr lange Zeit. Als wir für das Layout alte Fotos und Hefte durchsahen, konnten wir es teilweise kaum glauben: Diese Protestaktion gegen die argentinische Militärdiktatur in der Bonner Innenstadt 1979 liegt schon fast 28 Jahre zurück, genau wie der erste Infostand über Nicaragua, einige Monate vor der sandinistischen Revolution. Und hier, die Diskussion mit den KollegInnen der ila-latina über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland war 1991, das ist auch schon 15 Jahre her.
Klar, dass die ila 300 wieder eine besondere Ausgabe werden musste. Beim ila-info 100 im November 1986 hatten wir mit Beiträgen bekannter Autorinnen und Autoren auf zehn Jahre politischer und ökonomischer Entwicklung in Lateinamerika zurückgeblickt. In der ila 200 im November 1996 schauten wir wieder zurück, damals mit ausgewählten Artikeln und Interviews aus zwanzig Jahren ila. „Bei der ila 300 können wir aber nicht wieder zurückblicken“, war die einhellige Meinung auf unserem Planungswochenende im März im verschneiten Naturfreundehaus Berg in der Eifel. „Wir könnten ja mal versuchen, nach vorne zu schauen“, kam dann der Vorschlag, Stimmen von Leuten sammeln, die daran arbeiten oder darüber nachdenken, Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus zu entwickeln. Da für diesen Herbst ein Schwerpunkt zu den Perspektiven einer „Solidarischen Ökonomie“ anstand, entschieden wir schließlich, die beiden Themen zusammenzubringen und für die Jubiläumsausgabe den Schwerpunkt„Solidarische Perspektiven“ zu wählen.
In sehr unterschiedlichen Beiträgen und Interviews äußern Menschen, die in Lateinamerika und Europa politisch aktiv sind, Überlegungen zu eher grundsätzlichen Fragen, stellen konkrete Projekte solidarischer Ökonomie vor oder reflektieren über die Stärken und Defizite der sozialen Bewegungen, von Argentinien bis zu den ZapatistInnen. Da Zukunftsperspektiven ohne die Berücksichtigung der Erfahrungen der Vergangenheit nicht zu denken sind, wird in der ila 300 doch auch ein wenig zurückgeblickt, etwa auf zerstörte solidarische Perspektiven wie das Regierungsprojekt der Unidad Popular 1970 bis 1973 oder dieEntwicklung der politischen Debatten bei uns in der ila. Die Konzeption und Realisierung dieses Schwerpunktes ist uns nicht leicht gefallen, wesentlich schwerer als die Arbeiten am ila-info 100 und der ila 200.
In den letzten Jahren war unser Schreiben und unser politisches Handeln im Wesentlichen Abwehr – gegen die permanenten neoliberalen Angriffe auf soziale Errungenschaften, gegen die immer noch offene oder latente Repression, gegen die ökonomische Inwertsetzung der Natur und der Biodiversität, gegen destruktive Großprojekte und Wirtschaftsweisen. Wenn man aber permanent Abwehrkämpfe führt, verliert man mitunter aus dem Blick, wofür man eigentlich kämpft. Denn für die Entwicklung neuer Perspektiven braucht es auch Räume, für kreatives Nachdenken und Diskutieren, für die Entfaltung der Phantasie.
Viele Leute haben in den letzten 30 Jahren in der ila mitgearbeitet, manche nur einige Monate, andere viele Jahre. Manche sind unterwegs ausgestiegen, weil sie keine Kraft und Zeit mehr hatten oder weil sie aus beruflichen oder persönlichen Gründen den Köln-Bonner Raum verlassen haben. Wie viele Leute in den vergangenen dreißig Jahren für die ila geschrieben haben, haben wir nicht gezählt, es dürften aber weit mehr als tausend, vielleicht sogar mehr als zweitausend gewesen sein. Dazu kommen die, die durch ihre Übersetzungen ermöglicht haben, dass wir immer zahlreiche Beiträge aus Lateinamerika veröffentlichen und dort geführte Diskussionen hier bekannt machen konnten. Nicht zu vergessen all diejenigen, deren Namen nicht unter oder über den Beiträgen auftauchen, ohne deren Arbeit die ila aber nicht erscheinen würde. Ihnen allen, die in den vergangenen 30 Jahren zum Erscheinen dieser Zeitschrift beigetragen haben, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön.
P.S.: Wir haben erstmals die ila fast durchgehend mit den Bildern zweier Künstler illustriert, Pocho González aus Argentinien und Carlos Mendoza Zaragoza aus Bolivien (siehe Seite 79). Dieses Experiment würden wir gerne bei Gelegenheit wiederholen. Leider können wir kein Honorar für die Illustrationen zahlen, aber wir und hoffentlich auch die LeserInnen freuen sich über eine andere Sicht der Dinge/Menschen/Welt.