Eine solche ila gab es noch nie – zum ersten Mal in unserer über 30jährigen Geschichte widmen wir einen Schwerpunkt einem einzigen Menschen, unserem Mitarbeiter Ernesto Kroch. Denn der feierte am 11. Februar in Uruguays Hauptstadt Montevideo seinen 90. Geburtstag. Wir waren uns in der Redaktion einig, dass dieser runde Geburtstag Ernestos einen besonderen Niederschlag in unserer Zeitschrift finden müsse. Nicht nur, weil wir damit einen außergewöhnlichen Freund und Genossen ehren wollen, sondern auch weil sich in Ernestos Leben und seinem seit nun schon über 75 Jahre (!) währenden Engagement in linken Zusammenhängen auch die Geschichte Deutschlands und Uruguays spiegeln.
Als junger Mensch erlebte Ernesto den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Mit seinen FreundInnen aus dem deutsch-jüdischen Jugendbund Kameraden schloss er sich nach dem 30. Januar 1933 einer Widerstandsgruppe an. Am 9. November 1934 wurde er deswegen verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer 18monatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach deren Verbüßung kam er ins Konzentrationslager Lichtenburg. Anfang 1937 konnte er Deutschland verlassen und kam über Jugoslawien Ende 1938 nach Uruguay. Auch dort blieb er politisch aktiv, engagierte sich im „Deutschen Antifaschistischen Komitee“, später in der Gewerkschaft und der Kommunistischen Partei. Als im Juni 1973 in Uruguay das Militär die Macht übernahm, arbeitete er wieder im Untergrund. Um seiner drohenden Verhaftung zu entgehen, floh er 1982 in die Bundesrepublik Deutschland. Seit 1985 lebt er wieder in Uruguay. Seine Lebensgeschichte hat Ernesto selbst in seinem Buch „Heimat im Exil – Exil in der Heimat“ erzählt.
Wir hatten die Idee, in diesem ila-Schwerpunkt Menschen zu Wort kommen zu lassen, die ihn in verschiedenen Phasen seines Lebenswegs begleitet haben. Wir sind daraufhin an verschiedene FreundInnen, Bekannte und GenossInnen Ernestos in Uruguay, Deutschland und Schweden herangetreten und baten sie, einen Text für die Ausgabe beizusteuern. Fast alle haben spontan zugesagt. Eva Pollak in Solna bei Stockholm war zusammen mit Ernst bei den Kameraden und in der Breslauer Widerstandsgruppe, außerdem war sie seine erste Liebe. Ihr Sohn Tommy Pollak hat ihre Erinnerungen an Ernesto für die ila aufgezeichnet. Magda Marcuse sowie Kurt und Steffi Wittenberg wurden wie Ernesto von den Nazis aus Deutschland vertrieben. Sie lernten sich im Exil in Montevideo kennen. Ernesto und Kurt Wittenberg waren darüber hinaus gemeinsam im „Deutschen Antifaschistischen Komitee“ aktiv. Miguel Piperno und Ruben Prieto waren zusammen mit Ernesto in den fünfziger Jahren im „Comité Popular del Barrio Sur“ aktiv. Walter Barreto war Betriebsleiter in der Fabrik Julio Berkes S.A., in der Ernesto über Jahrzehnte gearbeitet hat. Dort war er auch für die Metallarbeitergewerkschaft UNTMRA tätig.
In seinem zweiten Exil in Frankfurt haben ihn Peter Wahl sowie Carlos und Gabriela Corvalán kennen gelernt. Mario Mederoa arbeitet seit 20 Jahren mit ihm in Montevideo im Stadtteilkomitee Andresito, Stefan Thimmel in der Casa Bertolt Brecht. Gert Eisenbürger ist seit fast zwei Jahrzehnten sein Ansprechpartner in der ila. Theo Bruns hat als Verleger in Zusammenarbeit mit Stefan Thimmel und Angela Habersetzer die Neuausgabe von Ernestos Autobiographie organisiert und begleitet. Rolf Satzer und Alix Arnold haben verschiedene Veranstaltungen mit Ernesto in Köln organisiert, Martin Keßler arbeitet seit drei Jahren an einem Film über Ernesto, Klaus Meschkat und Dorothea Härlin haben mit ihm bei mehreren attac-Sommerakademien zusammen gelehrt und gelernt, und seine Enkeltöchter Karen und Erika steuern einige ganz persönliche Blicke auf ihren Großvater bei. Allen sei an dieser Stelle für ihre Mitarbeit an dieser ila gedankt. Besonderer Dank gebührt Ernestos Lebensgefährtin Eva Weil (Feva). Das ganze Projekt dieses Schwerpunktes wurde nämlich ohne das Wissen von Ernesto realisiert, für ihn soll es eine nachträgliche Geburtstagsüberraschung sein. Wir in der ila haben die Arbeit und die AutorInnen in Europa koordiniert, Eva in Montevideo. Ernesto ist zwar ein sehr interessierter Mensch, der die internationalen Debatten und Entwicklungen verfolgt, der Nutzung von PC und Internet verweigert er sich aber, der heimische Computer ist die Domäne von Eva. So konnten wir problemlos über E-Mail mit ihr kommunizieren, ohne dass Ernesto davon etwas mitbekam.
So viel zur Genese dieses Heftes, aber natürlich wollen wir dieses Editorial nicht beenden, ohne Ernesto an dieser Stelle ganz herzlich zu seinem 90. Geburtstag zu gratulieren:
¡Cumpleaños feliz!