Was ist bloß los? Hollywood nimmt sich unserer Themen an – in Bordertown betreibt Jennifer López investigativen Journalismus, um Frauenmorde in Ciudad Juárez aufzuklären. Im November 2005 hatte die ila einen Schwerpunkt dazu veröffentlicht (ila 290). Auch Papst Benedikt äußerte sich damals zur Problematik, allerdings nicht in der ila.

Jetzt hat Benedetto schon wieder ein ila-Thema aufgegriffen: Anfang Januar sorgte er sich in einer Ansprache an den neuen kolumbianischen Botschafter beim Heiligen Stuhl um Kolumbiens Bevölkerung, die unter dem bewaffneten Konflikt leidet. In dem Zusammenhang erwähnte er auch eine Personengruppe, deren Situation wir in dieser ila vorstellen möchten: die internen Vertriebenen, Menschen, die zu Flüchtlingen im eigenen Land werden.
Weltweit gibt es etwa 40 Millionen interne Vertriebene, die Hälfte davon in Afrika. Trauriger Spitzenreiter in Lateinamerika ist Kolumbien mit zur Zeit 3,8 Millionen Vertriebenen. In der ersten Hälfte 2006 waren es durchschnittlich 637 Personen pro Tag, die ihre Heimatgebiete aus Angst vor dem bewaffneten Konflikt, vor Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen verlassen mussten. Aber auch in anderen Ländern des Kontinents gibt es sie – 60 000 in Peru, 242 000 in Guatemala und 12 000 in Mexiko. Hinzu kommen Tausende von Familien, die aufgrund von Ressourcenkonflikten in ganz Lateinamerika direkt oder indirekt vertrieben werden – wegen Bergbau, Forstwirtschaft oder großflächigem Anbau von Agrarprodukten für den Export. Auch bei infrastrukturellen Großprojekten wie Verkehrswegen zu Wasser und zu Land oder Staudämmen zur Energiegewinnung steht nicht selten die ansässige Bevölkerung im Wege, die auf den begehrten Ländereien lebt. Meist flüchten die internen Vertriebenen vom Land in die Stadt, doch es gibt auch innerstädtische Vertreibung. Nicht wenige leiden unter mehrmaliger Vertreibung.

Zum Trauma der Vertreibung kommt die ernüchternde Lebenssituation in den Aufnahmegebieten, meist den städtischen Randbezirken. Die alteingesessene Bevölkerung ist argwöhnisch gegenüber den Neuankömmlingen mit ihrem merkwürdigen Akzent und ihren absonderlichen Gebräuchen vom Land. Als ob sie nicht schon elend und beengt genug hausen würden, jetzt machen ihnen diese Landeier auch noch die wenigen Erwerbsmöglichkeiten streitig! Und irgendetwas werden sie schon angestellt haben, sonst hätten sie ja nicht flüchten müssen …

Das erinnert an hiesige Ressentiments gegenüber Asylsuchenden. Bei der Schwerpunktvorbereitung kamen wir darauf, dass in der Tat beide Bevölkerungsgruppen einiges gemeinsam haben, zumindest die Fluchtursachen sind oft die gleichen. Oder auch der bürokratische Umgang: Theoretisch bekommen interne Vertriebene in Kolumbien z.B. staatliche Unterstützung wie Unterkunft, Lebensmittel und kostenlose Arztbesuche. Dies gilt jedoch nur für diejenigen, die sich registrieren lassen. Doch BehördenmitarbeiterInnen lassen die Vertriebenen ihre Verachtung spüren, Verzögerungen und Schikane sind Alltag, so dass viele es vorziehen, sich gar nicht registrieren zu lassen. Auch das ist eine Parallele zu Asylsuchenden, z.B. in Deutschland: Die Gängelung auf Sozialämtern, der Ausländerbehörde oder in „Ausreisezentren“ sind derart entwürdigend, dass viele es vorziehen unterzutauchen und sich als Illegalisierte durchzuschlagen.

Wann endet Vertreibung? In Angola z.B. ganz schön schnell – bereits nach sechs Monaten gelten Vertriebene als „integriert“, in Kolumbien wird der Vertriebenenstatus länger beibehalten. Aber das ist ja auch bei der Integration von Asylsuchenden so – in einigen Ländern gelingt sie leichter, in anderen selbsternannten Nichteinwanderungsländern weniger.

Eine weitere Gemeinsamkeit von Flüchtlingen hier und Vertriebenen dort ist, dass wenig über ihre wirklichen Lebensbedingungen bekannt ist. Damit sich das in Bezug auf die Vertriebenen ändert, gibt es nun den vorliegenden ila-Schwerpunkt – denn wer hört sich schon die Ansprachen von Papst Benedikt an?