Zur Zeit herrscht Hochsaison. Mit Frühjahrsbeginn beruhigen sich die Meere. Nun machen sich wieder die MigrantInnenboote Richtung Europa auf den Weg. Da die Küsten Westafrikas mittlerweile überwacht werden, sind die kürzeren Routen aus Marokko wiederbelebt worden. Meldungen über „verschwundene Boote“ häufen sich, fast wöchentlich ist ein besonders dramatisches Seeunglück mit dabei. Ende Mai führte ein unwürdiges Hin und Her um (verweigerte) Zuständigkeiten zwischen Malta und Libyen dazu, dass sich 27 afrikanische MigrantInnen drei Tage lang am Thunfischnetz eines Fischerbootes festklammern mussten. Ihre „Retter“ ließen sie aus Furcht um ihre kostbare Fracht nicht an Bord, gaben ihnen auch weder zu essen noch zu trinken. Auf den Kanarischen Inseln scheinen die Flüchtlingsboote keine abschreckende Wirkung auf TouristInnen zu haben, im Gegenteil – der neueste Schrei ist es, live dabei zu sein, wenn die Guardia Civil die cayucos – wie die MigrantInnenboote auf Spanisch heißen – mit den erschöpften Menschen aufbringt. Wie ein preisgekröntes Foto vermittelt, gibt es aber auch die blonden Bikinischönheiten, die den Gestrandeten zur Hilfe eilen. Ob mehr geglotzt oder geholfen wird, darüber liegen uns leider keine Zahlen vor. Aber eins ist klar: Halbtot von Touristenkameras abgelichtet zu werden ist zynisch und grausam.
Ein Fotoapparat kann auch zur Waffe gegen MigrantInnen werden. Das passiert in den USA, wo radikale „Heimatschützer“, die so genannten Minutemen, informelle Versammlungspunkte von Tagelöhnern abfahren und fotografieren oder auch die Nummernschilder von Arbeitgebern, die Arbeitskräfte ohne Papiere beschäftigen, dokumentieren, um gegen die „Überfremdung“ des Landes vorzugehen. Allerdings schrecken die Minutemen in ihrem Kampf auch nicht vor scharfen Waffen zurück, wenn sie z.B. als paramilitärische Patrouillen versuchen, unerlaubte GrenzgängerInnen aufzuspüren. Während die Minutemen ein spezifisch US-amerikanisches Phänomen darstellen, sind wir bei unseren Recherchen zum vorliegenden Schwerpunkt jedoch immer wieder auf frappierende Parallelen zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Migrationsregime gestoßen. An erster Stelle: der „illegale Immigrant“ als Feind und Bedrohung. Dann natürlich auch die Verschärfung der Einreisebestimmungen und die (technische) Hochrüstung der Grenzen seit dem 11. September 2001. Doch die Leute kommen immer noch, finden neue Wege und Tricks.
Aufgrund der verschärften Situation blüht das „Schlepper“-Wesen, denn es gilt die Faustregel: Je restriktiver das Grenzregime, desto besser das Geschäft. Eine 100prozentige Abschottung ist weder möglich noch gewollt. Dass es dabei Tote gibt, ist politisch ebenso gewollt. Eine – zur Not – grausame Grenze wird inszeniert, um das Bild von Kontrolle und Regulierung aufrechtzuerhalten. Auf der Durchreise weht ein rauer Wind: Sowohl in dem Transitland Mexiko als auch in dem Transitland Marokko werden Menschen auf ihrem Weg Richtung Norden nicht selten Opfer von Raubüberfällen, Vergewaltigungen oder Entführungen mit anschließender Lösegelderpressung. Einmal im Zielland angekommen, verscherbeln sie mit ungebrochenem Willen ihre Arbeitskraft. Und es gibt AbnehmerInnen dafür, was natürlich offiziell nicht zugegeben werden kann. Um den Bedarf an migrantischer Arbeitskraft in institutionell abgesegnete und kontrollierte Bahnen zu lenken, ist auf einmal hüben wie drüben wieder der gute alte „Gastarbeiter“ en vogue. Wahlweise wird auch von „zirkulärer“ oder „gewählter“ Migration geredet. Um die legalen EinwanderInnen klassifizieren zu können, werden Punktesysteme entworfen, mit denen Qualifikationen, Sprachkenntnisse etc. bewertet werden.
Die Arbeitskraft ist aber nicht nur willig, sie organisiert sich auch und kämpft. Bestes Beispiel in den USA: Die Mobilisierung der ImmigrantInnen gegen geplante Gesetzesverschärfungen im Frühjahr 2006. Auch wenn die Proteste dieses Jahr schwächer ausfielen – was nicht zuletzt an massiven Razzien und Abschiebungen lag –, gibt es in den USA mit Gewerkschaften und neueren Organisationsansätzen wie Worker Center eine auch von ImmigrantInnen getragene Protestinfrastruktur. In Deutschland hat die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di nun den Organizing-Ansatz aus den USA entdeckt: Gewerkschaften gehen bewusst in bislang nicht organisierte Berufssparten (die häufig viele migrantische Arbeitskräfte beschäftigen), um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen; darüber hinaus geht es aber auch um aktive Mitarbeit und die Mobilisierung des Umfelds. Um den Ansatz hier bekannter zu machen, wurden Organizer nach Europa eingeladen. Nachhilfe in Sachen Organisierung und Protest ist nicht der schlechteste Import, doch selbstorganisierte Bewegung von unten finden wir immer noch besser.