An irgendeinem Morgen im letzten Sommer geschah es. Muna sprach ihr erstes Wort. Sie zeigte aus dem Fenster und sagte „Ba-um“. Wie schön – ein sympathisches erstes Wort. Bäume und Wälder haben Menschen schon immer zu Mythen und Geschichten angeregt. Bäume leben wie Menschen und Tiere, aber sind unbeweglich wie Berge und Steine. Gleichzeitig verändern sie laufend ihr Gesicht und wiegen sich im Wind. Dichte Wälder sind geheimnisvoll – alleinstehende Bäume ebenso. Wälder bieten Flüchtigen ein Versteck. In Mythen und Legenden sind Bäume die Verbindung zwischen Menschen und Göttern. Sie brachten uns das Feuer. Wenn man sie fällt, kommt der Himmel zum Vorschein. Es gibt heilige Wälder und Fruchtbarkeitsbäume. Und den Baum des Lebens. Zugleich ist Holz eine der meist genutzten Ressourcen – neben Luft und Wasser. Der Holz- und Papiersektor macht etwa drei Prozent des gesamten Welthandels aus.
In letzter Zeit bekommt man an auffällig vielen Einkaufsorten hübsche, große Papiertüten, für die häufig noch nicht mal bezahlt werden muss. Das plastiktütenkritische Bewusstsein freut sich, außerdem kann darin herrlich Altpapier gesammelt werden, kommt alles direkt zusammen in die Tonne. Dabei tut’s der gute alte Stoffbeutel genauso. Der Papiersektor scheint sich seine Nachfrage selbst zu schaffen, denn etwa die Hälfte der weltweiten Papierproduktion ist für Verpackung bestimmt. Die Werbebranche haut tonnenweise Material raus, das meist ungelesen im Papierkorb landet. Der gedankenlose Konsum kommt u. a. daher, weil Papier so billig ist. Weshalb? Fast die gesamte Holz- und Papierproduktion wird direkt oder indirekt subventioniert. Und sie hat viele FürsprecherInnen, z. B. bei der Weltbank oder in der Entwicklungszusammenarbeit.
Ein häufiges Argument: Die Zellstoffindustrie und der Forstsektor bringen Arbeitsplätze. Doch im Vergleich zu anderer Bodennutzung entstehen nur sehr wenige Jobs. Forstarbeit ist zudem laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO einer der gefährlichsten und anstrengendsten Sektoren, mitunter wird gar von sklavenähnlichen Bedingungen auf Baumplantagen in Uruguay oder Brasilien berichtet. Forstarbeiter hausen unter Plastikplanen, manchmal ohne Trinkwasserversorgung. In einer uruguayischen Plantage mussten Arbeiter Herbizide und Pestizide einsetzen und hatten weder Schutzkleidung noch vorherige Einweisung bekommen.
Es gibt immer noch viele Leute, die Baumplantagen mit Wäldern verwechseln. Doch die (ehemaligen) BewohnerInnen der Gegenden, wo sich heutzutage die Monokulturen für die Zellstoffproduktion ausbreiten, wissen genau, dass dem nicht so ist: „Grüne Wüste“, „Grüne Soldaten“ oder „Der Grüne Tod“ – so nennen sie die Plantagen. Die Plantagenbäume ziehen mehr Wasser aus dem Boden als im System zirkuliert und trocknen den Boden aus, Bodenerosion ist die Folge. Durch das schnelle Wachstum werden dem Boden Nährstoffe entzogen.
Ein weiteres Argument lautet, Baumplantagen würden zur CO2-Absorption beitragen und somit die Klimabilanz verbessern. Doch diese Plantagen sind ja quasi die Zulieferindustrie für die Zellstoffproduktion, die sehr energieintensiv ist. Für die Produktion von einem Paket Frischfaserpapier beläuft sich der Gesamtenergiebedarf auf 26,8 kWh, die gleiche Menge Recyclingpapier benötigt nur 10,5 kWh. Hinzu kommt der Energiebedarf für den Transport des auf der Südhalbkugel produzierten Zellstoffs in den Norden, denn hier sitzen die HauptkonsumentInnen: Liegt der durchschnittliche Prokopfverbrauch von Papier weltweit bei 50 Kilogramm, so werden in den USA 300, in Deutschland 228 Kilo Kilogramm pro Jahr konsumiert. Zum Vergleich: In Uruguay, einem der zukünftigen südamerikanischen Hauptlieferanten von Zellulose, sind es knapp 40 Kilogramm.
Ein weiteres Beispiel für Schönfärberei ist die Rede von der „Wiederaufforstung“. Dazu ein Landarbeiter aus der argentinischen Provinz Misiones: „Wiederaufforstung heißt, dass vorher abgeholzt wird. Die ansässige Bevölkerung wird dazu gezwungen ihre Produktion umzustellen oder zu gehen – letztlich ersetzen Kiefern die Siedler. Deshalb sagt auch unser Priester Piña immer, dass er für die Menschen und nicht für die Kiefern predigen möchte. Alles sieht nach einem makabren Plan aus: Zuerst kommt die Krise der traditionellen Anbauprodukte und ihr Preisverfall. Dann kommen die Forstfirmen und ziehen ihre Kiefern hoch. Eine Koexistenz von Kiefern und Menschen ist unmöglich.“
Was ist bloß aus unserem Freund, dem Baum, geworden! Wie aus dem Lebensbaum der grüne Tod werden konnte – davon berichtet der vorliegende Schwerpunkt.
P.S. Übrigens, die ila wird seit 15 Jahren auf Recycling-Papier gedruckt…