Noch stärker als in den meisten anderen Ländern Südamerikas waren die vergangenen zwei Jahrzehnte in Ecuador von fast permanenten politischen und wirtschaftlichen Krisen gekennzeichnet. Auf den „Ölboom“ in den Siebzigern folgten lange Jahre des wirtschaftlichen Niedergangs. Die ökonomische Situation breiter Bevölkerungsschichten verschlechterte sich kontinuierlich. 1999 brach die Wirtschaft total ein. Im Januar 2000 schaffte die damalige Regierung Mahuad die Landeswährung Sucre ab und machte den US-Dollar zum alleinigen Zahlungsmittel – doch die erhoffte Stabilisierung trat nicht ein.
Wegen der wirtschaftlichen Dauerkrise verließen mehr als zwei Millionen EcuadorianerInnen (bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 14 Millionen) in den beiden letzten Dekaden ihr Heimatland, um in den USA und in den letzten Jahren zunehmend auch in Europa bessere Einkommensmöglichkeiten zu suchen. In Spanien sind die EcuadorianerInnen inzwischen eine der größten ImmigrantInnengemeinden. In den Grundschulen dort haben jüngst die ecuadorianischen Kinder die MarokkanerInnen als größte ausländische Gruppe abgelöst. Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz leben inzwischen große Gruppen von EcuadorianerInnen, die meisten von ihnen ohne gültige Aufenthaltspapiere, weil ihnen die restriktiven Gesetzgebungen nicht erlauben, ihren Status zu legalisieren. Die Geldüberweisungen der MigrantInnen bilden heute für die in Ecuador verbliebenen Angehörigen die Lebensgrundlage. Diese sog. „remesas“ sind neben den Erlösen aus den Erdölexporten die wichtigsten Devisenbringer des Landes.
Wenn die reichen europäischen Staaten die große Zahl ecuadorianischer MigrantInnen beklagen, muss daran erinnert werden, dass Ecuador selber Aufnahmeland für viele MigrantInnen ist: Zwischen 250 000 und 500 000 Kriegsflüchtlinge aus Kolumbien sind in den vergangenen Jahren nach Ecuador gekommen. Während die US-Regierung im Rahmen des „Plan Colombia“ dreistellige Millionenbeträge in den kolumbianischen Krieg pumpt, erhält Ecuador für die Versorgung der Menschen, die diese Politik zu Flüchtlingen macht, kaum internationale Unterstützung.
Die schwierige wirtschaftliche Situation Ecuadors führte zu einer großen politischen Instabilität. Von 1997 bis 2007 gab es sieben verschiedene Präsidenten, von denen keiner die volle Amtszeit von vier Jahren an der Regierung blieb. In der Bevölkerung machte sich eine tiefe Enttäuschung über das politische System und die Parteien breit. Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober und November 2006 trat Rafael Correa ausdrücklich nicht als Kandidat einer Partei an. Er versprach eine grundlegende Reform des politischen Systems und die Rückgewinnung der nationalen Souveränität, etwa durch Kontrolle der Erlöse aus der Erdölförderung. Die WählerInnen folgten ihm: Correa wurde im November 2006 mit 56,7 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Im April 2007 votierten 81,7 Prozent der EcuadorianerInnen für seinen Vorschlag einer Verfassunggebenden Versammlung, und als diese am 30. September gewählt wurde, gewann das von Correa initiierte Wahlbündnis Acuerdo PAÍS 80 der 130 Sitze.
In den internationalen Medien, die sich selten durch eine differenzierte Darstellung auszeichnen, wird die politische Entwicklung Ecuadors meist als Teil des „Linksrucks“ in Lateinamerika dargestellt. Doch die „BürgerInnenbewegung“ Acuerdo PAÍS ist eine heterogene Allianz, an der linke Kräfte zwar beteiligt, aber eindeutig in einer Minderheitenposition sind. Trotzdem steht außer Zweifel, dass in Ecuador ein politischer Veränderungsprozess in Gang gekommen ist. Die vorliegende ila möchte diese Entwicklung in ihren Facetten darstellen und analysieren. Dabei gehört es zur Tradition dieser Zeitschrift, dass unsere AutorInnen und InterviewpartnerInnen den Prozess und seine Perspektiven durchaus unterschiedlich einschätzen.
Auch diesmal gab es Leute, die sich besonders für den Schwerpunkt engagiert haben. Unser besonderer Dank geht an Frank Braßel, Günter Pohl und Ylonka Tillería, ohne deren intensive Mitarbeit diese Ausgabe nicht zustande gekommen wäre.