Außer der Hauptstadt Asunción mit etwa 1,1 Mio. EinwohnerInnen und ihrem teilweise urbanen Umland gibt es in Paraguay keine großen Städte. Die große Mehrheit der sechs Millionen ParaguayerInnen lebt weiterhin auf dem Land. Obwohl Paraguay unwesentlich größer ist als Deutschland, das dreizehnmal so viele EinwohnerInnen hat, können die meisten Bauern und Bäuerinnen dort kaum genug erwirtschaften, um ihren Familien das Überleben zu sichern. Das liegt weniger an den trockenen Steppen des Chaco, sondern vor allem an der extrem ungleichen Landverteilung und einem Agrarmodell, das mehr und mehr auf den Anbau und den Export eines einzigen Produktes setzt: Soja. Die eiweißreiche Hülsenfrucht wird vor allem als Viehfutter nach Europa und Asien exportiert. Die Nachfrage wächst in der Europäischen Union stetig.
Nur mit den Futtermitteln, die auf den eigenen Äckern wachsen, könnte die EU ihre riesige Fleischproduktion nicht aufrecht erhalten. Dass bei uns Fleisch- und Wurstwaren zu relativ günstigen Preisen erhältlich sind, ist nicht zuletzt das Ergebnis von Sojaimporten aus Ländern wie Argentinien, Brasilien und Paraguay. Doch nicht nur als Futtermittel ist die Sojabohne weltweit gefragt. Auch die Ölkonzerne gieren nach der Hülsenfrucht, da sie sich auch zur Herstellung von Agrotreibstoffen eignet. Für Paraguays Kleinbauern und -bäuerinnen ist diese Entwicklung katastrophal. Sojaboom bedeutet für sie keineswegs mehr Wohlstand. Bei ihnen kommt immer weniger Fleisch auf den Tisch und auch kein Agrodiesel in den Tank, weil sie ohnehin keine Autos und Traktoren besitzen. Das Geschäft machen paraguayische und zunehmend brasilianische Großgrundbesitzer, die sich immer mehr Land in Paraguay aneignen, um dort – mechanisiert, d. h. mit wenig menschlicher Arbeitskraft – Soja anzubauen.
Die kontinuierliche Ausweitung der Anbauflächen geschieht durch die Umwandlung von Weiden, auf denen bislang extensive Viehhaltung betrieben wurde, durch Rodung von Urwaldflächen und durch die Vertreibung von Kleinbauern und -bäuerinnen bzw. indigenen Gemeinschaften. Die ökologischen und sozialen Folgen sind himmelschreiend: Der Wasserhaushalt ist bedroht, für das Klima wichtige Waldflächen gehen verloren, die Vertreibungen sind schlicht ein Verbrechen und rauben immer mehr kleinbäuerlichen Familien jegliche Existenzgrundlage. Auf der Suche nach Land und Arbeit ziehen sie wie verzweifelte Nomaden durchs Land oder in die Elendsquartiere von Asunción. Doch auch dort fehlen die Perspektiven. Es gibt kaum Jobs, praktisch keine Industrie und wenig gut Betuchte, die bezahlte Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Wichtigster Wirtschaftszweig neben der Soja ist der Schmuggel, bei dem Zoll und Polizei kräftig mitverdienen.
Von der Regierung haben Paraguays Arme nichts zu erwarten. Sie wird seit über 60 Jahren von der rechtskonservativen Colorado-Partei (ANR-PC) gestellt, die eng mit der Großgrundbesitzeroligarchie verflochten ist. Für die Colorados, die sowohl während der 35 Jahre Diktatur des bayrischstämmigen Alfredo Stroessner (1954-89), als auch in der sogenannten Demokratie seit dessen Sturz die faktische Staatspartei waren und sind, war der Staat immer der Selbstbedienungsladen für die Versorgung ihrer Klientel. Die Korruption ist in Paraguay notorisch. Die Colorado-Bürokratie war nur immer dann hocheffizient, wenn es um die Verteidigung ihrer Interessen ging. Der Repressionsapparat funktionierte bestens, der Geheimpolizei mit ihrem riesigen Spitzelnetz, gelang es stets, oppositionelle Strukturen zu zerschlagen. Seit 1989 ist die Repression zwar zurückgegangen, aber von bürgerlich-demokratischen Strukturen ist Paraguay weit entfernt.
Dennoch gibt es in jüngster Zeit so etwas wie einen zarten politischen Aufbruch. Die Unzufriedenheit wächst. Auf dem Land kommt es zu heftigen Konflikten um den Boden, in den Städten empören sich die Leute über die Korruption und fehlende wirtschaftliche Perspektiven. Wichtigster Sprecher der Unzufriedenen ist der ehemalige katholische Bischof Fernando Lugo, der als gemeinsamer Kandidat der Opposition im April zu den Präsidentschaftswahlen antritt.
Es ist zweifellos etwas in Bewegung gekommen. Ob es reichen wird, um die über 60jährige Herrschaft der Landoligarchie zu beenden, ist derzeit völlig offen. Auf jeden Fall war es für uns Anlass, Paraguay endlich einmal ein Schwerpunktheft zu widmen.
Wie immer haben wir Leuten zu danken, die uns mit wichtigen Hinweisen, Vermittlung von Kontakten und Beiträgen unterstützt haben. Besonderer Dank geht diesmal an Regine Kretschmer, Reto Sonderegger, Gaby Weber und Helmut Hackfort.