Seit zwei Jahrzehnten gewinnen die Organisationen der indigenen Urbevölkerung in Lateinamerika kontinuierlich an Bedeutung. Vor allem in Ländern mit einem hohen Anteil Indigener wie Bolivien, Ecuador oder Guatemala sind deren Bewegungen längst zu wichtigen politischen Akteuren geworden. Das gilt auch für die Länder, in denen Indígenas nur in einzelnen Regionen einen hohen Bevölkerungsanteil stellen, wie etwa in Mexiko, Chile oder Kolumbien. Die indigenen Organisationen kämpfen für Autonomie, eigene Regierungsformen und Gerichtsbarkeit sowie für die Gleichberechtigung ihrer Kulturen und Sprachen (wichtig ist dabei das Bildungswesen) und die Verteidigung ihrer Lebensweise. Letzteres bedeutet vor allem auch den Kampf um die materiellen Grundlagen der indigenen Kulturen, nämlich die Anerkennung und Garantie ihrer Land- und Territorialrechte, die von Großgrundbesitzern, infrastrukturellen Großprojekten oder Bodenschatzexplorationen allenthalben bedroht sind.

In zahlreichen Ländern Lateinamerikas sind in den vergangenen Jahren linke oder Mitte-Links-Regierungen an die politische Macht gekommen. Obwohl die meisten dieser Regierungen die indigenen Rechte anerkennen und eine neue Politik versprechen, sind die Beziehungen zu den indigenen Bewegungen keineswegs spannungsfrei, in einigen dieser Länder sind sie sogar ausgesprochen konfliktiv. Am engsten dürften die Verbindungen zwischen indigener Bewegung und Regierung heute in Bolivien sein. Natürlich gibt es auch dort Widersprüche, aber letztlich ist die bolivianische Regierung die einzige, die ernsthaft versucht, ein nationales Entwicklungsprojekt und die Anerkennung der indigenen Interessen zusammenzubringen. Alle anderen Regierungen erkennen zwar formal die Rechte der Indígenas an, betonen im Konfliktfall, wenn es etwa um die Ausbeutung von Bodenschätzen oder infrastrukturelle Großprojekte geht, aber schnell, dass das Allgemeinwohl über indigenen Partikularinteressen steht. Ob das „Allgemeinwohl“ dabei mit den Interessen transnationaler Konzerne verwechselt wird, ist im Einzelfall zu klären.

Die eigentliche Diskussion dreht sich um das Entwicklungsmodell, und dabei gehen die indigenen Zukunftsvisionen für den Schutz und die Erhaltung der Pacha Mama (Mutter Erde) durchaus über eigene territoriale Grenzen hinaus und haben nationalstaatlichen oder sogar globalen Charakter. Weil Bolivien und seine indigenen Bewegungen im Zentrum der letzten ila stand, gehen wir im vorliegenden Schwerpunkt nicht noch einmal darauf ein.

Neben den indigenen Bewegungen haben sich die afroamerikanischen Gemeinschaften Lateinamerikas und der Karibik, deren Vorfahren einst als SklavInnen aus Afrika nach Amerika verschleppt wurden, in den vergangenen zwei Jahrzehnten verstärkt organisiert. Auch wenn deren soziale Bewegungen noch nicht die politische Bedeutung der Indígenavereinigungen erreichen, werden sie doch zunehmend zur Kenntnis genommen. Sofern sie in ländlichen Regionen und im Tropenwald leben, wie etwa im kolumbianischen Pazifiktiefland, stehen die afroamerikanischen Gemeinschaften vor ähnlichen Land- und Territorialkonflikten wie die Indígenas. Auch ihr Lebensraum weckt die Begehrlichkeiten des Agrobusiness und von Rohstoffkonzernen. Die brutale Gewalt gegen die Afrogemeinschaften zwingt diese in Kolumbien häufig zur Flucht. So werden sie zu internen Vertriebenen, die in den Elendsgürteln der Städte um ihr Überleben kämpfen.

In Ländern, die sich ihrer Bevölkerungsvielfalt und des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen ethnischen Gruppen rühmen, wie etwa Brasilien oder Uruguay, zeigen die Afrobewegungen heute unmissverständlich auf, dass das Selbstbild der weißen Mehrheitsbevölkerung keineswegs der Realität entspricht und auch hier rassistische Strukturen dazu führen, dass die AfroamerikanerInnen fast immer zu den Ärmsten gehören.

Eine besondere Gruppe unter den AfroamerikanerInnen sind die Garínagu (Singular: Garífuna) an der Atlantikküste Mittelamerikas. Im 17. Jahrhundert begannen sich auf der Insel St. Vincent AfrikanerInnen, die von vor der Insel gestrandeten Sklavenschiffen geflohen waren, und die Kariben-Indígenas zuvermischen. Als die Briten Ende des 18. Jahrhunderts auch auf St. Vincent eine auf SklavInnenarbeit basierende Plantagenökonomie durchsetzen wollten, leisteten die „Black Caribs“ dagegen entschiedenen Widerstand, den die Kolonialisten lange nicht brechen konnten. Schließlich deportierten die Briten die widerständigen Garínagu in ihre kaum bevölkerte Kolonie Britisch-Honduras (das heutige Belize), von wo aus sie sich als Bauern, Bäuerinnen und FischerInnen an der gesamten Atlantikküste Mittelamerikas niederließen.

Weder die indigenen noch die schwarzen Bewegungen Lateinamerikas haben in der europäischen Berichterstattung einen nennenswerten Stellenwert, abgesehen von der einen oder anderen Notiz über gewalttätige Auseinandersetzungen. Aber selbst diese vermögen die tatsächliche Problematik kaum zu erhellen, solange die zentralen Themen, um die es in den Kämpfen und Debatten der Bewegungen geht, ausgeblendet bleiben. Eine Lücke, die wir mit der vorliegenden ila schließen wollen.