Kein Land in Lateinamerika ist so polarisiert wie Kolumbien. Während die einen meinen, dass Staatspräsident Álvaro Uribe Vélez die Nation aus der Krise führt – schließlich hat er Erfolge im Kampf gegen die FARC-Guerilla verbucht, die Landstraßen sicherer gemacht und Wirtschaftsinvestoren angelockt –, sind andere davon überzeugt, dass sein Regierungskurs soziale Ungleichheit und autoritäre, intolerante Verhaltensmuster verstärkt. Dass also die staatliche Politik aktiv an der Spirale der Gewalt dreht und somit die zahlreichen Programme zur Krisenprävention und Friedensförderung der internationalen Kooperation verpuffen lässt.
Zu dieser gespaltenen Lage im Inneren kommt hinzu, dass Kolumbien außenpolitisch umkämpftes Terrain ist: Das Land ist das wichtigste Flaggschiff der US-Regierung in Lateinamerika. Während andere Regierungen des Subkontinents einen distanzierten Kurs zu Washington eingeschlagen haben, ist Kolumbiens Regierung Statthalter der US-Interessen in der Region. Dafür hat die USA im Rahmen des so genannten Plan Colombia in den letzten acht Jahren fünf Milliarden US-Dollar in das Land gepumpt, den größten Teil davon als Militärhilfe. Damit sollte ein erfolgreicher Antidrogen- und Antiterrorkampf geführt, Kolumbien sozusagen von Guerilla und Coca befreit werden. Aber was für ein Desaster: Die Millionenbeträge, die für die Drogenbekämpfung eingesetzt werden, haben ihr Ziel völlig verfehlt. Die Flächen, auf denen Coca für Kokain angebaut wird, sind heute nicht kleiner, sondern sogar größer geworden. Und die Guerillas (FARC und ELN) sind zwar militärisch geschwächt, was aber höchstens für Militärstrategen eine gute Nachricht ist. Aus friedenspolitischer Perspektive gesehen hat die Kriegspolitik der Uribe-Administration ins Aus geführt.
Die Aussichten für Friedensverhandlungen mit der bewaffneten Opposition sind so schlecht wie kaum zuvor. Und wer sich um humanitäre Interventionen bemüht, hat zur Zeit ganz schlechte Karten. Dazu hat auch die Neutralisierung lateinamerikanischer Vermittlungsbemühungen (nicht nur von Venezuelas Präsident Chávez) beigetragen. Seitdem die „wichtigen“ Geiseln – Ingrid Betancourt und drei US-Söldner – vom Militär befreit wurden, ist es um den Rest der Guerilla-Entführten still geworden. Dass es in Kolumbien aber nicht nur Guerilla-Opfer, sondern weitaus mehr Opfer von paramilitärischer und Staatsgewalt gibt, ist in der internationalen öffentlichen Meinung kaum präsent.
Aber sind die Milliarden US-Dollar des Plan Colombia nicht etwa doch gut investiert worden? Denn vielleicht ging es zuallererst nie darum, Kolumbiens Demokratie zu stärken und den Frieden zu fördern, wie es offiziell verlautbart wird, sondern schlicht um Ressourcen- und Freihandelspolitik. Nicht umsonst hat die Uribe-Administration die Bedingungen für ausländische Investitionen verbessert und die beschleunigte Förderung von Erdöl, Kohle, Gold und anderen Rohstoffen ermöglicht. In der Energiepolitik setzt Kolumbien auch auf Agrosprit und bepflanzt die letzten nutzbaren Flächen mit Zuckerrohr und Ölpalmen. Darüberhinaus setzt die aktuelle Regierung nach wie vor auf Marktöffnung, auch wenn dies die eigene Landwirtschaft und die Wirtschaft insgesamt ruinieren wird: Während der Abschluss des Freihandelsvertrags mit den USA derzeit noch wegen Menschenrechtsverletzungen an GewerkschafterInnen im US-Kongress blockiert ist, bemüht sich jetzt die EU um ein bilaterales Freihandelsabkommen, was offiziell als „Assoziierungsabkommen“ verbrämt wird.
Die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten zwei Jahrzehnte hat die sozialen Probleme verschärft, der Krieg mit seinen vier Millionen Binnenflüchtlingen hat zu einer humanitären Tragödie geführt.
Die Basisorganisationen und die Friedens- und Menschenrechtsbewegten haben es in dieser Situation alles andere als einfach. Doch sie melden sich mit Kraft und konkreten Vorschlägen zu Wort. Im Oktober/November protestierten Zehntausende Indígenas gegen die Militarisierung ihrer Territorien, ungebremste Rohstoffausbeutung und Freihandel. Die Zuckerrohrarbeiter traten wegen sklavenähnlicher Arbeitsbedingungen in den Streik. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen reklamieren ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Die Frauen bilden landesweite Friedensnetzwerke, zeigen konkrete Solidarität und kämpfen für eine Umkehr der patriarchalischen Kriegspolitik. Nicht zu vergessen die vielen kulturellen Initiativen, die sich für ein „Anderes Kolumbien“, für soziale Gerechtigkeit und ein Ende des Krieges engagieren. In diesem ila-Schwerpunkt haben wir uns bemüht, denjenigen eine Stimme zu geben, die für dieses „Andere Kolumbien“ stehen.