Die bolivianische Millionenstadt El Alto ist sicher eine der außergewöhnlichsten Städte Lateinamerikas. Gleich mehrere Merkmale machen sie einzigartig. Zum einen liegt El Alto auf 4000 Meter Höhe und ist damit die höchstgelegene Metropole der Erde. Zum anderen ist El Alto die einzige Stadt dieser Größe, die fast ausschließlich von Indígenas bewohnt wird. Sie wird deshalb auch Hauptstadt der Aymara genannt. Weiterhin hat die Stadt eine außergewöhnliche wirtschaftliche Entwicklung genommen: aus Kleinstbetrieben etwa im Textilbereich ist dort inzwischen eine in Teilen international konkurrenzfähige Industrie entstanden. Doch die bietet nur einem kleinen Teil der Bevölkerung ein Auskommen. Die meisten Alteños und Alteñas versuchen sich im informellen Straßenhandel über Wasser zu halten, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung lebt in extremer Armut.
Spätestens seit dem so genannten „Gaskrieg“, der im Oktober 2003 zum Sturz des neoliberalen Präsidenten Sánchez de Lozada führte, ist El Alto in Bolivien und weltweit auch zum Symbol einer rebellischen Stadt geworden. In wenigen Städten Lateinamerikas dürfte die soziale Bewegung so stark und so gut organisiert sein wie hier. Schließlich ist El Alto eine junge Stadt. Und das in doppelter Hinsicht: Kinder, Jugendliche und junge Leute stellen die große Mehrheit der Bevölkerung, jung ist auch die Ansiedlung selbst, die erst seit 20 Jahren eine eigene städtische Verwaltungseinheit ist. In den dreißiger Jahren ließen sich die ersten MigrantInnen aus dem bolivianischen Andenhochland in El Alto nieder, sozusagen vor den Toren der Hauptstadt La Paz. Weil das Tal von La Paz bei wachsender Zuwanderung immer weniger Siedlungsraum bot, blieben immer mehr Landflüchtlinge auf der Hochebene von El Alto. Ab den dreißiger Jahren kann man von einer städtischen Siedlung sprechen. 1950 hatte sie gerademal 11 000 EinwohnerInnen und gehörte verwaltungstechnisch zu La Paz.
Doch El Alto wuchs rasant, vor allem in den achtziger Jahren. Dabei mangelte es an elementarer städtischer Infrastruktur. Die Stadtverwaltung von La Paz war damit völlig überfordert und zeigte auch wenig politisches Interesse, etwas für El Alto zu tun. So bauten die BewohnerInnen ihre Stadt selbst, nicht nur ihre Unterkünfte, sondern auch die städtischen Einrichtungen, von Straßen und Wegen, über Wasserleitungen, Stromnetze und Abwasserkanäle bis zu Sportplätzen und Märkten. 1988 wurde El Alto dann endlich zu einer eigenständigen Stadt, mit eigenen Strukturen und gewissen finanziellen Mitteln. Zu diesem Zeitpunkt lebten dort bereits 600 000 Menschen.
Eine schöne Stadt ist El Alto ganz sicher nicht. Historische Gebäude, schmucke Parks oder Flaniermeilen wird man vergeblich suchen. Dafür ist es eine interessante Stadt, wie wir bei den Recherchen für unseren diesjährigen Städteschwerpunkt feststellen konnten. Wir hoffen, dass unsere LeserInnen dies genauso sehen und sie bei der Lektüre der verschiedenen Beiträge ähnlich fasziniert sein werden wie wir. Wie so oft wäre auch dieser Schwerpunkt ohne zusätzliche HelferInnen nicht zustande gekommen. Ganz besonders danken wir Waldo Acebey, der nach seiner Mitarbeit in der ila-Redaktion in Bonn wieder in Bolivien lebt und vor Ort recherchiert, geschrieben und die meisten im Schwerpunkt veröffentlichten Fotos beigesteuert hat, sowie Peter Strack von terre des hommes, der seit vielen Jahren die Bolivien-Berichterstattung in der ila maßgeblich bestreitet.
Neben dem Schwerpunkt zu El Alto haben wir aus aktuellem Anlass in dieser Ausgabe noch zwei kleinere Dossiers zusammengestellt. Das eine zum blutigen Konflikt in der peruanischen Amazonasregion, das andere zum Militärputsch im Honduras.