Im Oktober dieses Jahres wird Argentinien Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse sein. Wie immer werden zahlreiche AutorInnen aus dem Gastland zur Messe kommen und an Diskussionen, Veranstaltungen und Lesungen teilnehmen. Erfreulich ist zudem, dass die Anzahl neuer Bücher aus dem Schwerpunktland in diesem Jahr besonders hoch sein wird. Denn neben deutschen Stellen hat auch die Regierung in Buenos Aires einen stattlichen Betrag zur Verfügung gestellt, um die Übersetzung argentinischer Belletristik zu fördern. Dadurch wird es möglich sein, dass im Herbst über 70 Bücher aus Argentinien erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht werden.
Diese Neuerscheinungen werden im Herbst im Mittelpunkt des Interesses der Kulturredaktionen der großen Zeitungen und Rundfunksender stehen (denn nur für die sind die Verlage bereit, Anzeigen zu schalten). Abzusehen ist, dass sich das Feuilleton auch in diesem Jahr auf einige wenige Titel aus dem Gastland konzentriert, während den meisten anderen Büchern wenig bis keine Aufmerksamkeit zuteil werden dürfte. Das gilt erst recht für Romane und Erzählungen, die schon übersetzt, im Buchhandel aber vergriffen sind. Das wird dann vielleicht dazu führen, dass der heute in seinem Heimatland wahrscheinlich beliebteste argentinische Schriftsteller, der 1997 verstorbene Osvaldo Soriano, im Oktober in den Literaturbeilagen und Sondersendungen kaum Erwähnung findet, weil derzeit keines seiner ins Deutsche übersetzten Bücher lieferbar ist.
Wie 1994, als Brasilien Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse war, haben wir ein sehr umfangreiches Schwerpunktheft zur Literatur des Gastlandes der Messe zusammengestellt. Anders als 1994 veröffentlichen wir unser Literaturheft aber nicht im September, sondern bereits im Mai. Damit haben unsere LeserInnen die Möglichkeit, rechtzeitig wirklich Spannendes zu entdecken, statt im Herbst an Unmengen von Buchbeilagen zu verzweifeln. Zudem sind wir überzeugt, dass der spannenden und vielfältigen Literatur Argentiniens nicht nur ein kurzes Event im Oktober gewidmet werden soll.
Der vorliegende ila-Schwerpunkt dürfte sich auch inhaltlich von den meisten Literaturbeilagen im Herbst unterscheiden. Bei unserer Annäherung an die argentinische Gegenwartsliteratur beschränken wir uns nicht auf die aktuellen Neuerscheinungen. Wir wollten nicht einzelne Bücher in den Mittelpunkt rücken, sondern argentinische Schriftsteller und Schriftstellerinnen vorstellen, die wir besonders schätzen, unabhängig davon, ob es von ihnen Neuerscheinungen oder viele lieferbare Titel gibt. Allerdings haben wir darauf geachtet, dass von allen genannten AutorInnen wichtige Bücher wenigstens antiquarisch erhältlich sind.
Leider können wir aus Platzgründen nicht alle unserer Meinung nach lesenswerten LiteratInnen vorstellen. Ein besonderes Anliegen war es uns, an die argentinischen AutorInnen zu erinnern, die während der letzten Militärdiktatur (1976-1983) „verschwunden“ sind, d.h. entführt und ermordet wurden. Ihnen haben wir einen eigenen Schwerpunkt im Schwerpunkt gewidmet. Überhaupt ist die Erinnerung und literarische Auseinandersetzung mit der furchtbaren Repression jener Jahre ein roter Faden, der sich fast durch das gesamte Heft zieht. Fast alle vorgestellten LiteratInnen haben unter der Diktatur gelitten, mussten ins Exil gehen, waren inhaftiert, wurden gefoltert, sind „verschwunden“ oder sind – bei jungen AutorInnen erstaunlich häufig – Kinder von „Verschwundenen“.
Natürlich wäre auch dieser Schwerpunkt nicht ohne die enorme Zuarbeit von Menschen außerhalb der Redaktion zustande gekommen. Wir danken wie immer allen unseren AutorInnen, ganz besonders Erna Pfeiffer, Esther Andradi, Erich Hackl, Klaus Jetz und Klaus Küpper, die uns nicht nur ihre Beiträge zur Verfügung gestellt haben, sondern auch wichtige Hinweise gegeben, Kontakte hergestellt und auf die eine oder andere Weise an der Konzeption dieses Heftes mitgewirkt haben.