Müll ist ein Riesengeschäft. Mit den Abfällen der Konsumgesellschaft wird sehr viel Geld verdient. Regelmäßig sorgen Skandale rund um Entsorgung, Wiederverwertung und Verbrennungsanlagen für Schlagzeilen: Sei es die „Müllkrise“ in Neapel im Jahr 2008, bei der stinkende Abfallberge die italienische Stadt monatelang in einen Ausnahmezustand versetzten, oder der Spendenskandal in Köln, wo der ehemalige Müllunternehmer Trienekens jahrelang Schmiergelder an die Politik bezahlt hatte, um sich beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage Vorteile zu verschaffen und in der zu groß angelegten Anlage Fremdmüll verbrennen zu können.
Auch in Lateinamerika wird mit Müll Geld verdient. Und es ist ein riesiger Sektor, der vor allem für informelle Arbeitsplätze sorgt. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit etwa 15 Millionen Menschen vom Müllsammeln und -sortieren leben. Wer schon einmal in lateinamerikanischen Großstädten unterwegs war, kennt das für europäische Augen recht ungewohnte Bild nur zu gut: Einzeln, in Gruppen oder mit der ganzen Familie kommen die MüllsammlerInnen aus den armen Stadtteilen meist in den Abendstunden in die zentralen und bessergestellten Wohnviertel und durchforsten die Straßen nach Wiederverwertbarem; auf Pferdekarren, in riesigen Säcken auf den Schultern oder auf Rollkarren werden Plastik, Papier und sonstige Wertstoffe transportiert. Clasificadores, recicladores, cartoneros, catadores, pepenadores – so vielfältig und unterschiedlich, wie die Bezeichnungen für diese Recycling-ArbeiterInnen sind, stellen sich auch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen dar.
Während sie in den 70er Jahren unter den autoritären Regimes der Militärmachthaber im Cono Sur vertrieben und ihre Arbeit kriminalisiert wurde, hat sich ihre Situation in einigen Ländern in den letzten Jahren zaghaft zum Besseren gewendet. Sie schließen sich zusammen, zu selbstverwalteten Kooperativen, Netzwerken oder auch in Gewerkschaften. In einigen Ländern gibt es dafür Unterstützung von Seiten der Regierung. In Peru ist mittlerweile ein Gesetz für MüllsammlerInnen verabschiedet worden. Vielerorts gibt es jedoch für Entsorgung und Wiederverwertung keine transparenten Regeln bzw. mafiöse Gruppen teilen das Geschäft unter sich auf. Und auch in Lateinamerika gibt es Bestrebungen, etwa mit dem Bau von Verbrennungsanlagen moderne Technologie zum Einsatz zu bringen, was wiederum den MüllsammlerInnen ihre Einkommensquellen nehmen würde. Die MüllsammlerInnen selbst verweisen auf die Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeit und wehren sich gegen Vorhaben, die z.B. im Rahmen der so genannten Kyoto-Instrumente wie dem Clean Development Mechanism Verbrennungsanlagen zur Erzeugung von „alternativer Energie“ unterstützen. „Abfallwirtschaft ist ein hervorragender Indikator für gute Regierungsführung“, heißt es in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit: Zahlen die Leute ihre Gebühren, hält die Stadt ihren Fuhrpark in Schuss, wird der Müll zuverlässig abgeholt? Und wenn er dann doch mal liegen bleibt, kochen die Emotionen schnell hoch. Mit übel riechenden Müllbergen kann der politische Gegner eben auch hervorragend diskreditiert werden.
Was passiert eigentlich mit dem Müll, der nicht wiederverwertet werden kann, wie wird er entsorgt? Und in den ärmeren Stadtteilen, wo viele der informellen MüllsammlerInnen leben, gibt es dort auch so etwas wie eine Müllabfuhr? Wie gravierend ist das Problem der illegalen Entsorgung, sei es auf Müllkippen oder in Gewässern? Wie relevant ist der (Gift-) Müllexport in lateinamerikanische Länder, wo vielleicht Umweltbestimmungen laxer gehandhabt werden? Welchen Stellenwert hat der Müll eigentlich in der Politik, und im Bewusstsein der Bevölkerung? Und in welchen Bereichen der Abfallwirtschaft ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit tätig? Diesen und anderen Fragen möchten wir in diesem Schwerpunkt auf den Grund gehen.