Am 20. November 2010 jährt sich zum hundertsten Mal der Tag, an dem in Puebla und Chihuahua der Aufstand gegen den mexikanischen Diktatur Porfirio Díaz begann. Nach sechsmonatigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und Regierungstruppen musste Díaz am 25. Mai 1911 abtreten und ins französische Exil gehen. Doch die mexikanische Revolution war damit noch lange nicht zu Ende, es folgte ein mehr als zehnjähriger blutiger Bürgerkrieg um deren Ausrichtung. Auch wenn es dabei verschiedene Fraktionierungen und Seitenwechsel gab, lassen sich doch zwei große Lager ausmachen. Einerseits das bürgerlich-demokratische Lager, das eine kapitalistische Modernisierung Mexikos anstrebte, andererseits die sozialrevolutionären Bauernarmeen, die für „Land und Freiheit“ kämpften. Die Ermordung Emiliano Zapatas (1919) und Francisco „Pancho“ Villas (1923) markierten den Sieg der „gemäßigten“ Kräfte und die Niederlage der Sozialrevolutionäre.
Damit begann die „Institutionalisierung“ der Revolution im Interesse der ökonomischen Eliten. 1929 wurde die PNR (Partido Nacional Revolucionario) als Partei der Revolution gegründet, die – ab 1946 unter dem Namen PRI (Partido Revolucionario Institucional) – bis zum Jahr 2000 die Politik in Mexiko dominierte. Auch wenn die PRI ab den vierziger Jahren eine rechtssozialdemokratische Partei mit deutlich autoritären Zügen war – sie regierte über Jahrzehnte als faktische Einheitspartei – behielt sie ihre „revolutionäre“ Rhetorik lange Zeit bei. Dabei bezog sie sich auf einen Mythos der Revolution, der deren Widersprüche und Fraktionierungen weitgehend ignorierte und die Idee einer großen „Revolutionsfamilie“ entwarf, zu der Emiliano Zapata und Pancho Villa ebenso gezählt wurden wie die für deren Ermordung verantwortlichen Venustiano Carranza und Alvaro Obregón. Die PRI pflegte diesen Revolutionsmythos bis in die neunziger Jahre.
Mit dem Massaker an den protestierenden StudentInnen im Oktober 1968 begann die „Revolutionspartei“ schrittweise ihre Legitimation zu verlieren, ein Prozess, der durch die Schuldenkrise in den Achtzigern und die neoliberale Politik in den Neunzigern weiter beschleunigt wurde. Im Jahr 2000 verlor die PRI erstmals die Präsidentschaftswahlen, sie ist in vielen Bundesstaaten aber weiterhin die dominierende Kraft und schickt sich an, auch auf nationaler Ebene an die Regierung zurückzukehren. Nicht der einzige, aber vielleicht der schlimmste Fall eines durch und durch korrupten Gouverneurs, der sich auf Paramilitärs stützt und dem die geistige Mittäterschaft für etliche Morde nachgesagt wird, ist der scheidende Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz. Bis zur Wahlniederlage seines Nachfolgekandidaten am 4. Juli dieses Jahres wurde er allen Ernstes als kommender PRI-Vorsitzender gehandelt.
Doch nicht nur die PRI, auch die sozialliberale Oppositionspartei PRD, viele bäuerliche Organisationen und auch die aufständischen NeozapatistInnen in Chiapas sehen sich in der Tradition der mexikanischen Revolution. Was allerdings damit verbunden wird und was „revolutionär“ heute bedeutet, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während die einen meinen, die Revolution sei eine Grundlage des modernen mexikanischen Staates, in dem ihre Hauptanliegen verwirklicht seien, erklären die anderen, die Erfüllung der zentralen revolutionäre Forderungen wie „Land und Freiheit“ stünden bis heute aus und der Kampf dafür müsse weitergeführt werden.
Anlässlich des hundertsten Jahrestags ihres Beginns setzen wir uns in dieser ila ausführlich mit dieser ersten großen Revolution des 20. Jahrhunderts auseinander. Bei der Konzeption des Schwerpunktes interessierten uns die historischen Prozesse ebenso wie die Frage ihrer Aktualität in der Gegenwart, ihre künstlerische Rezeption ebenso wie ihre historisch-wissenschaftliche Interpretation. Und natürlich wollten wir auch wissen, wie in diesem Jahr das offizielle Mexiko, seine kritischen Intellektuellen und seine sozialen AktivistInnen mit dem runden Jahrestag umgehen.