Ende Dezember 2009 hatte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner einen seltenen lichten Moment. Da meinte sie nämlich, die Deutschen würden zu viel Fleisch essen. Wenn sie stattdessen den Empfehlungen der Gesellschaft für Ernährung folgten, die etwa die Hälfte des heutigen Fleischkonsums für gesundheitlich angemessen hält, wäre das ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz. Sofort gingen die Lobbyisten der Agroindustrie in Stellung und warfen der Ministerin vor, sie wolle den Menschen das gute Essen verbieten. Prompt ruderte Frau Aigner zurück und erklärte nach dem Motto: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“, sie halte nichts von der Empfehlung, den Fleischkonsum zu reduzieren.
Das Fleisch, das in Deutschland überwiegend verzehrt wird, kommt aus Großmastbetrieben – die Bezeichnung Tierfabriken wäre angemessener. Dort werden die Schweine und Hühner in kürzester Zeit mit Kraftfutter und Medikamenten auf das erforderliche Schlachtgewicht gebracht. Selbst Rinder bekommen immer weniger Gras zu fressen, sondern überwiegend Mais und Soja. Die riesigen Fleischmengen, die heute in Deutschland und der gesamten EU produziert werden, sind nur möglich, weil große Teile des Viehfutters importiert werden. Bei Eiweißpflanzen sind das inzwischen 80 Prozent des Bedarfs, vor allem Soja, das zum überwiegenden Teil aus Brasilien, Argentinien und auch Paraguay kommt. Dass die rasante Ausweitung des Sojaanbaus immer wieder zur – gewaltsamen – Vertreibung von Kleinbauern und -bäuerinnen von den Flächen führt, auf denen sie ihre Lebensmittel anbauen, war schon häufiger Thema in der ila, ebenso wie die ökologischen Verwerfungen die dem Sojaboom geschuldet sind.
Die Berichterstattung der Medien aus der Solidaritätsbewegung und die Aktivitäten von Eine-Welt- Gruppen, von denen sich viele im Zusammenhang mit Landkämpfen engagieren und Organisationen von Kleinbauern/bäuerinnen und Landlosen unterstützen, erwecken den Eindruck, dass es unter linken und alternativen Kräften einen Konsens zur Förderung einer kleinbäuerlichen, nachhaltigen und auf lokale Kreisläufe setzenden Landwirtschaft gäbe. Doch das stimmt nur zum Teil. Es gibt in der Linken eine lange Tradition, die es als zentrale Aufgabe der Landwirtschaft betrachtete, der städtischen Bevölkerung, speziell den Unterschichten, billige Lebensmittel – und darunter möglichst viel Fleisch – zur Verfügung zu stellen.
Wie diese Lebensmittel produziert wurden, ist dabei meist als zweitrangig angesehen worden. Diese Tradition findet sich in der europäischen Sozialdemokratie und ihren Abspaltungen sowie in den realsozialistischen Ländern und ist auch heute bei den linken Regierungen Lateinamerikas spürbar, ob in Argentinien, Uruguay, Venezuela oder sogar Bolivien, obwohl sich Evo Morales auf eine breite bäuerliche Basis stützt. Die Leute wollen Fleisch, wird dabei argumentiert, und die Zahlen scheinen das zu bestätigen: Wenn Menschen mehr Geld zur Verfügung haben, essen sie mehr Fleisch.
Diese ila setzt sich mit der Produktion und dem Konsum von Fleisch auseinander. Dabei interessieren uns sowohl die Wirkungen des hiesigen Konsums auf die Länder Lateinamerikas als auch die Produktion und Bedeutung von Fleisch für die Ernährung und Esskultur in den Ländern Mittel- und Südamerikas. Unsere AutorInnen haben ganz unterschiedliche Verhältnisse zu dem Nahrungsmittel, über das sie schreiben. Manche ernähren sich selbst nur vegan oder vegetarisch, andere essen gerne Fleisch. Die meisten sind aber der Meinung, dass wir eine Agrarwende hin zu einer nachhaltigen ökologischen Landwirtschaft brauchen und dass – zumindest in Europa – weniger, aber dafür hochwertigeres Fleisch konsumiert werden sollte. Aber auch dazu gibt es den einen oder anderen kritischen Einwand. Also wieder einmal eine ila, die – so hoffen wir – eine anregende Lektüre und genügend Diskussionsstoff verspricht.