Protest ist ein Recht und kein Verbrechen! – unter diesem Motto wehren sich in ganz Lateinamerika soziale Bewegungen gegen die Kriminalisierung ihrer Aktivitäten. Seien es Indígenas, wie die Mapuche in Chile, die für ihr Recht auf kollektiven Landbesitz kämpfen und in Folge dessen mit Terrorismusvorwürfen überzogen werden, oder MenschenrechtsanwältInnen in Kolumbien, die vom kolumbianischen Geheimdienst beobachtet, verfolgt und in ihrer Arbeit massiv behindert werden.

Gerade Länder wie Mexiko oder Kolumbien, die Europa und den USA gegenüber als attraktive Wirtschafts- und Investitionsstandorte gelten möchten, versuchen sich ein dementsprechend „demokratisches“ Image zuzulegen. Doch mit der Wahrung der Menschenrechte ist es oft nicht weit her. Hinzu kommen strukturelle Ungleichheit, Armut, Marginalisierung und Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Landfragen und Ressourcenausbeutung. Viele Menschen in Lateinamerika sehen im sozialen Protest die einzige Möglichkeit, ihre Rechte zu verteidigen und bessere Lebensbedingungen zu erreichen. Doch die Regierungen verweigern häufig systematisch den Dialog mit den sozialen Bewegungen, und in den Massenmedien haben deren Belange nur ein äußerst begrenztes Forum. So verwundert es nicht, dass (Straßen-)Proteste zunehmen und sich mitunter auch radikalisieren.

Gleichzeitig werden diese Protestaktionen der Bevölkerung immer stärker kriminalisiert, was verschiedene Studien, z.B. aus Mexiko, belegen. Dabei geht es nicht nur um die willkürliche Festnahme von AktivistInnen, sondern um gut durchdachte Kampagnen, bei der Justiz, Polizei, Militär, Parlament und auch private Akteure (z.B. Medien oder Wirtschaftsverbände) ihren Part übernehmen. Legitimer Protest wird diffamiert und nicht selten in die Nähe von terroristischen Aktivitäten gerückt. Veränderte rechtliche Grundlagen und Polizeiverordnungen bzw. eigens verabschiedete Antiterrorismusgesetze bilden die Grundlage dafür, dass sich das angewandte Strafmaß in den letzten Jahren verschärft und die Strafverfolgung insgesamt zugenommen hat.

Geheimdienste spielen dabei eine wichtige Rolle, wie der DAS-Skandal in Kolumbien zeigt: Eine Spezialabteilung dieses Geheimdienstes hatte just diejenigen AnwältInnen im Visier, die den sozialen Bewegungen Rechtsbeistand gewährleisten. Im offiziellen Diskurs hieß es dann, sie würden den Terrorismus unterstützen. Kriminalisierung, Verfolgung und Inhaftierung von AktivistInnen können häufig nur deswegen aufrecht erhalten werden, weil die jeweiligen Regierungen auf internationaler Ebene als Demokratien gelten, die sich der Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben.

Interessant ist dabei die Frage, ob es denn auch unter den progressiveren Regierungen in Lateinamerika zur Kriminalisierung von oppositionellen Kräften kommt. Für Argentinien lässt sich diese Frage ganz klar mit ja beantworten. Von Venezuela wissen wir, dass einzelne GewerkschafterInnen, die zu eigenständig handeln, mitunter zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden können – zur Abschreckung sozusagen. Beim jüngsten und prominentesten Beispiel – dem Gewerkschaftsaktivisten Rubén González vom verstaatlichten Unternehmen Ferrominera Orinoco – ist das Ganze vorerst noch einmal glimpflich ausgegangen. Nachdem González Ende Februar zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hob der Oberste Gerichtshof das Urteil wieder auf, so dass er Anfang März unter Auflagen wieder frei kam. Alle Fälle haben dabei eines gemeinsam: Kriminalisierung zielt nicht auf einzelne AktivistInnen ab, gemeint ist damit stets ein Kollektiv, eine soziale Bewegung. Der Kampf gegen die Kriminalisierung wiederum bindet personelle und finanzielle Ressourcen in den Bewegungen, die es sich jedoch nicht nehmen lassen, dagegen zu protestieren und sich ein öffentliches Forum zu suchen. Als Teil der internationalen Öffentlichkeit möchte die ila mit dem vorliegenden Schwerpunkt ihren bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass Hintergründe, Verfolgungsstrategien sowie Reaktionen publik werden.

Unser besonderer Dank geht dieses Mal an Daniel Tapia vom Öku Büro München, der maßgeblich zu Konzeption und Zustandekommen dieser ila beigetragen hat.