Im Herbst und Frühling schlagen die Herzen der SchnäppchenjägerInnen höher: In den gemäßigten Jahreszeiten ist Flohmarktsaison. Antiquitäten- und RaritätenliebhaberInnen, Buch- oder PlattensammlerInnen begeben sich ins sonntägliche Marktgedränge, Großstadtmütter grasen systematisch Kinderflohmärkte ab, um den schon wieder gewachsenen Nachwuchs mit adäquater Kleidung für die nahende Kälte bzw. Hitze auszustatten. Auch für Erwachsene gibt’s haufenweise Klamotten, teils trashig, teils trendig aus der letzten oder vorletzten Saison. Das Stöbern macht Spaß, aber die große Geldersparnis ist heutzutage nicht mehr drin.
Kleidung ist einfach unglaublich billig geworden: Neue T-Shirts und Tops für fünf Euro, Jeans für 15 Euro, Winterjacken für 30 Euro. Und das ist noch die zweitbilligste Variante, bei Kik und Konsorten geht’s noch billiger. Diese perversen Preise sind nur möglich, weil diejenigen, die die Bekleidung herstellen, äußerst mies bezahlt werden und unter großem Druck arbeiten. Ein Beispiel aus El Salvador: 17 Näherinnen der Maquiladora Style Avenue, die für den US-Markt produziert, müssen in einer Stunde 166 Baby-Bodys konfektionieren, jede also alle sechs Minuten ein Teil fertig haben. Eine Näherin verdient in der Regel 99 US-Cent pro Stunde, d.h. pro Body 10 US-Cent – bei einem Endverbraucherpreis von 15 bis 20 US-Dollar. Die Arbeitskosten, sprich der Lohnanteil, liegen also bei weniger als einem Prozent des Verkaufspreises.
Lange Arbeitstage, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, demütigende Behandlung und ein faktisches Organisationsverbot – das ist der Alltag in den Maquiladoras, den Textilfabriken, die für den Weltmarkt produzieren. Doch Niedrigstlöhne werden beileibe nicht nur bei der Herstellung von Billigklamotten bezahlt, auch teure Markenkleidung wird unter diesen Bedingungen in Maquiladoras produziert.
In Haiti gab es im Oktober Proteste, weil sechs führende Mitglieder der neu gegründeten Textilarbeitergewerkschaft SOTA gefeuert worden waren. Der Organisierungsgrad der ArbeiterInnen in der haitianischen Textilbranche ist äußerst gering. In den 1980er Jahren waren in der Textilindustrie des Landes noch 150 000 Menschen beschäftigt, zurzeit sind es nur mehr knapp 30 000. Doch im Rahmen der Aufbaupläne für Haiti soll der Niedriglohnsektor im Textilbereich wieder ausgebaut werden, entsprechende Pläne gibt es bereits von Seiten des koreanischen Bekleidungsherstellers SAE-A. Damit das transnationale Kapital, das scheue Reh, nicht verschreckt wird, darf aber der Mindestlohn nicht zu stark steigen: Wikileaks hatte dieses Jahr enthüllt, dass US-Unternehmen mit Billigung der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID im Jahr 2009 eine geplante Erhöhung des Mindestlohns im haitianischen Textilsektor auf fünf Dollar täglich verhindert hatten.
Obwohl sich die Textilindustrie im letzten Jahrzehnt in Länder wie Bangladesch oder China verlagert hat, wo noch billiger produziert wird, gibt es durchaus noch eine nennenswerte Maquila-Industrie in Lateinamerika, vor allem in den zentralamerikanischen Ländern. Aber auch weiter südlich, z.B. in Argentinien, werden Kleidungsstücke im Akkord und unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen angefertigt – größtenteils in kleinen Nähereien, sogenannten Sweatshops, in denen ImmigrantInnen aus Bolivien für den lokalen Markt und darüber hinaus schuften.
Das Bewusstsein über die ausbeuterischen Bedingungen in der Textilproduktion scheint in Europa langsam zuzunehmen: Eine Reihe von alternativen Initiativen vertreibt mittlerweile fair gehandelte Bekleidung, z.B. aus der Textilkooperative Nueva Vida in Nicaragua, die in dieser Ausgabe vorgestellt wird. Eine Nische? Gewiss. Fairer Konsum ist sinnvoll und löblich, kann aber die globalen Produktionsbedingungen nicht umwälzen, da müsste sich grundlegend etwas ändern! So lange das nicht passiert, gehen wir eben weiter auf den Flohmarkt. Oder wir schließen uns der Forderung einiger junger DokumentarfilmerInnen aus Gießen an: Tauscht Klamotten!