In unseren Meeren findet ein regelrechter Krieg gegen die Fische statt. So nennt es zumindest der Meeresbiologe Daniel Pauly. Unbestreitbar ist, dass viele Fischbestände und die Biodiversität der Meere in Gefahr sind. Mehr als drei Viertel aller kommerziell genutzten Bestände sind überfischt, in EU-Gewässern sind es knapp 80 Prozent. Die politisch bewilligten Fangquoten überschreiten seit Jahren deutlich die wissenschaftlichen Empfehlungen. Der Fisch, der auf unseren Tischen landet, kommt von immer weiter entfernten Weltgegenden – so werden 60 Prozent des Fischs, der in der EU verbraucht und gegessen wird, importiert. Der deutsche Durchschnittsverbrauch an Fisch liegt bei 15,5 Kilogramm pro Jahr. Die Top Drei sind dabei Alaska-Seelachs, Hering und Lachs.
In so manchen lateinamerikanischen Ländern ist die Kleinfischerei für viele Menschen, die in der Landwirtschaft oder in anderen Sektoren kein Auskommen mehr finden können, die letzte Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Über eine Milliarde Menschen sind weltweit direkt auf die Weltmeere als Nahrungsquelle, die tierische Proteine liefert, angewiesen. Von besonderer Bedeutung ist allerdings nur ein Bruchteil der Fläche der Weltmeere, nämlich die küstennahen und nährstoffreichen Gebiete, die lediglich fünf Prozent der Weltmeeresfläche ausmachen. Hier finden fast 90 Prozent der Fischereiaktivitäten statt.
Verschärft wird der Kampf um die Meeresressourcen dadurch, dass Fische an Fische verfüttert werden. In den 1970er-Jahren wurden Aquakulturen als Beitrag zur Ernährungssicherung propagiert und ab den 1980er-Jahren auf Empfehlung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in den Ländern des globalen Südens vorangetrieben.
In industriellen Aquakulturen vertilgen fleischfressende Fischarten 50 Prozent des weltweit hergestellten Fischmehls und 80 Prozent des Fischöls. So wird letztlich ein Mehrfaches der Biomasse aus dem Meer verbraucht, um Zuchtfisch für den menschlichen Verzehr herzustellen. Die Angaben schwanken zwar je nach Standpunkt (Unternehmen versus Umweltaktivisten etwa), doch die Tatsache an sich ist unbestreitbar. Zwischen drei und zehn Kilo Fischmehl, gewonnen aus Sardinen und Anchovis, werden z. B. für ein Kilo Zuchtlachs gebraucht. Hinzu kommen die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt. Die Lachsindustrie im Süden Chiles hat ganze Küstenstriche samt ihrer Gewässer zerstört. Das Wasser ist voller Antibiotika und Abfall, Fischseuchen breiten sich rasant aus. Ähnlich drastische Auswirkungen bringen Garnelenfarmen in Zentralamerika und Ecuador mit sich. In diesen Ländern kommt erschwerend hinzu, dass Mangrovenwälder abgeholzt werden, die neben ihrer Eigenschaft als einzigartiges Ökosystem zusätzlich eine wichtige Schutzfunktion erfüllen gegen Stürme und Überflutungen, die in Folge des Klimawandels zunehmen. Die Fischerei selbst ist durch ihren Treibstoffverbrauch eine Mitverursacherin des Klimawandels.
Ganz vorne mit dabei auf der Jagd nach den letzten Fischen ist die überdimensionierte Fangflotte von Großunternehmen aus EU-Staaten. Vor allem spanische Firmen sind als global player auf der ganzen Welt und auch an den Pazifikküsten Südamerikas aktiv. Von Nachhaltigkeit in der EU-Fischereipolitik, die im Übrigen bis 2013 reformiert werden soll, kann zurzeit nicht im Mindesten die Rede sein. Dabei gibt es auch hier Überlegungen und – zum Teil schon angewandte – Ansätze, um die Bestände zu sichern und der Plünderung Einhalt zu gebieten.
Wenn der Raubbau an den lebenden Meeresressourcen wie bisher weitergeht, werden alle kommerziell nutzbaren Fischarten in den Weltmeeren in den nächsten 20 bis 30 Jahren verschwinden. Die einzigen größeren Lebewesen in den Meeren werden dann lediglich Quallen sein, die keine natürlichen Feinde mehr haben.
Welchen Fisch und vor allem wie viel davon können wir dann überhaupt noch essen? Auch auf diese praktischen Fragen gehen wir in unserem aktuellen Schwerpunkt ein. So viel vorab: Greenpeace und andere Verbände wie „fair fish“ sagen klipp und klar: Fisch gehört nur ein Mal im Monat auf den Tisch! Weniger ist mehr, dem Meer zu liebe. Denkt an die Quallen!
P.S. Die Zerstörung der natürlichen Ressourcen und Lebensräume wird nicht nur im Schwerpunkt dieser Ausgabe thematisiert. Das Thema zieht sich im Vorfeld der Rio+20-Konferenz durch das ganze Heft. Ein besonderes Problem sind dabei Großstaudämme, deren ökologische und soziale Folgen katastrophal sind. Darauf gehen wir in zwei Beispielen aus Brasilien und Kolumbien ein. Erstmals in der Geschichte der ila auch in Bild und Ton. Der Abo-Ausgabe liegt eine DVD mit dem spannenden Dokumentarfilm „Countdown am Xingú II“ in Deutsch und Portugiesisch bei. Wir – und der Filmemacher Martin Keßler – hoffen, damit die ila-LeserInnen motivieren zu können, sich gegen den Belo-Monte-Staudamm in Amazonien zu engagieren.