Im Zuge der Euro- und Schuldenkrise fällt immer wieder eine beschwörende, seltsam personalisierende Formel: „Wir müssen das Vertrauen der Märkte wiederherstellen.“ Gemeint sind damit die Finanzmärkte, diese so schwer zu durchschauende und eigentlich höchst unpersönliche Sphäre der globalen Finanztransaktionen. Märkte haben aber auch andere Gesichter, freundlichere, persönlichere und begreifbarere: Wenn wir etwa auf dem Wochenmarkt in unserem Stadtteil Obst und Gemüse der Saison kaufen oder auf einem Flohmarkt selbst unser Verkaufstalent erproben. Und wer kennt sie nicht, die Märkte in Lateinamerika, die uns mit ihrer Vielfalt und dem uns zum Teil unbekannten Produktangebot blenden, seien es Früchte, Gewürzmischungen, Kunsthandwerk, Textilien oder auch allerlei Getier, gefiedert oder nicht. Und auf denen wir uns mit köstlichen landestypischen Speisen und Getränken stärken können. Doch auch auf diesen Märkten geht es letztlich nur um das schnöde Eine: Hier werden Güter und Dienstleistungen gehandelt, mehrere AnbieterInnen wetteifern um die Gunst der KäuferInnen, Maßstab sind idealerweise allein der Preis und die Qualität der Ware.
„Märkte strukturieren unsere Kommunikation“, sagt die feministische Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen, für den Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi entscheidet der Platz, den die Märkte in einer Gesellschaft einnehmen, sogar über Krieg oder Frieden. Also kommt den Märkten letztlich doch eine größere Rolle zu, als nur die Güterverteilung über Tauschbeziehungen zu organisieren. Regionale Produkte werden gehandelt, die VerkäuferInnen sind oft gleichzeitig die ProduzentInnen, man kennt sich und kann mitunter anschreiben lassen.
Doch ist ein solches soziales Marktgefüge nicht nur auf dem Land oder in Kleinstädten möglich? Sind die Riesenmärkte in den lateinamerikanischen Großstädten nicht höchst unpersönliche Moloche? So gibt es bemerkenswerte Transformationen, wie im Fall von „La Salada“, an der Grenze des Ballungsgebiets von Buenos Aires gelegen. „La Salada“ war ursprünglich ein kleiner Markt und Treffpunkt der bolivianischen ImmigrantInnen. Mit der zunehmenden Einwanderung aus dem Andenraum und dem Boom der klandestin-prekären Textilwerkstätten entwickelte sich dieser Markt zur größten Drehscheibe von Billigtextilprodukten in Südamerika. Mittlerweile haben korrupte Polizisten und auch die Drogenmafia hier ihre Hände mit im Spiel.
So ist es nur konsequent, dass einige Initiativen Vermarktung und Verteilung komplett selbst und kollektiv organisieren. Auf seinen Bauernmärkten konnte der venezolanische Kooperativenverbund Cecosesola schon einige Erfahrungen sammeln; die Märkte sind im Laufe der Jahrzehnte stark gewachsen, so dass sich die Beteiligten weitere Gedanken und Versuche zur Überwindung kapitalistischer Zwänge machen können. In Mérida, in den westlichen Anden Venezuelas, steckt die porträtierte Foodcoop hingegen noch in den Kinderschuhen.
In Cuba wiederum, wo in den letzten Jahren um die Aufwertung und Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion gekämpft wird, um die Bevölkerung zu versorgen, gibt es eine leichte Marktöffnung bzw. zunehmende Möglichkeiten, privat initiativ zu werden. Doch führt ein größeres Angebot auch unmittelbar zu einer besseren und vielfältigeren Versorgung auf Cuba? Wenn „der Markt“, d.h. Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, freuen sich zwar die TouristInnen über mehr Einkaufsmöglichkeiten und Produkte, die sich Maria Normalverbraucherin jedoch nicht leisten kann.
Auf Märkten werden letztlich so wichtige Punkte wie die Nahrungsmittelsouveränität eines Landes verhandelt; selbstorganisierte Märkte bzw. Distributionskanäle zeigen einen anderen Verständnisansatz von Handel und Wirtschaft und reale Alternativen zur Versorgung durch die teuren Supermarktketten – Beispiele, die Schule machen könnten.