Sobald sich Gesellschaften „entwickeln“ und Teile ihrer Bevölkerung von unmittelbarer Arbeit für die Erzeugung der Lebensmittel freigestellt werden (zunächst Priester, später Regenten, Adel, Militär und Verwaltung), müssen diejenigen, die weiter Nahrung und notwendige Güter produzieren, Abgaben entrichten, um den Unterhalt der anderen zu sichern. Diese Tribute, Abgaben und Steuern werden von denen, die sie aufbringen müssen, in der Regel als unangenehm empfunden. Mitunter wurden sie sogar zur unerträglichen Last, besonders dann, wenn die Abgabenpflichtigen durch ihre Arbeitsleistung nur soviel erwirtschaften konnten, dass die Familien mehr schlecht als recht davon leben konnten, die Abgaben also die eigene Versorgung massiv beeinträchtigten.

Steuern und Abgaben waren in der Geschichte vor allem für die Finanzierung der herrschenden Eliten und ihrer Verwaltungs- und Militärapparate zu entrichten. Im vorspanischen Amerika dienten Tribute auch zur Sicherung des Lebens von Bedürftigen. Der Gedanke der Umverteilung wird in Europa seit dem späten 19. Jahrhundert diskutiert. Hier finanzieren Staaten mit ihren Steuereinnahmen seither auch Bildungseinrichtungen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Elend. Damit wurde die Steuerpolitik in den bürgerlich-demokratischen Gesellschaften zum Feld politischer Auseinandersetzungen. So sah der reformistische Flügel der Arbeiterbewegung und der Linken insgesamt in der Steuerfrage bald den zentralen Hebel für die Herstellung sozialer Gerechtigkeit, während Wirtschaftsverbände und Besitzende jegliche Ansätze, durch Besteuerung eine Umverteilung von oben nach unten zu erreichen, energisch bekämpften.

Zwei grundlegende Besteuerungskonzepte stehen sich gegenüber. Das eine sieht vor, Steuern vor allem auf den Konsum zu erheben. Dazu gehören alle Verbrauchssteuern wie Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer, Tabaksteuer. Alle KonsumentInnen bezahlen den gleichen Steuersatz. Da Menschen mit niedrigem Einkommen das verfügbare Geld in der Regel komplett für ihre Güter des täglichen Bedarfs ausgeben, zahlen sie prozentual einen weit höheren Teil ihrer Einkünfte an den Staat als Wohlhabende, die nur einen Teil ihres Einkommens für den unmittelbaren Konsum verwenden. Diese Art der Besteuerung nennt man regressiv.

Der andere Ansatz will primär die Einkommen besteuern, und zwar sozial gestaffelt. Menschen mit niedrigen Einkommen sollen einen geringen bis gar keinen Anteil ihres Einkommens für Steuern ausgeben. Bei höheren Einkommen steigt der Steuersatz sukzessiv bis zu einem festgelegten Spitzensteuersatz. Zudem sollen auch Besitz, Vermögen, Erbschaften und daraus resultierende Gewinne umfassend besteuert werden. Mit dem Einkommen wachsende Steuern bezeichnet man als progressiv und spricht von Progression.

In den mitteleuropäischen Staaten sind heute Mischsysteme von Einkommens- und indirekten Steuern die Regel. In Lateinamerika dominieren dagegen die indirekten Steuern, Besitz wird fast gar nicht besteuert. Zwar werden teilweise inzwischen auch Einkommen besteuert, dennoch sind die Steuersysteme in Lateinamerika eindeutig regressiv, begünstigen also die BezieherInnen hoher Einkünfte.

Auf der Ausgabenseite werden die politischen Kämpfe darum geführt, welche sozialen Gruppen von den staatlichen Ausgaben profitieren. Hier streben linke Ansätze danach, die Lage und die Aufstiegsmöglichkeiten unterprivilegierter Gruppen durch Sozialprogramme und allgemein zugängliche hochwertige Bildungsangebote zu verbessern, während rechte Konzepte staatliche Investitionen und Ausgaben vor allem in den Ausbau der von wirtschaftlichen Machtgruppen gewünschten Infrastruktur und Subventionierung leiten möchten.

Während die europäischen Staaten bis in Ende der siebziger Jahren ihre Sozialausgaben stark erhöhten, haben in Lateinamerika die staatlichen Ausgaben traditionell die begüterten Schichten begünstigt und die soziale Ungleichheit vertieft.
Doch es gibt Veränderungen. Während in Europa die Steuersysteme seit den achtziger Jahren zunehmend regressiver werden und die soziale Ungleichheit forciert wird, ist in vielen Ländern Lateinamerikas ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Es gibt – sehr vorsichtige und durchaus widersprüchliche – Bestrebungen, die begüterten Schichten stärker zu belasten und über Umleitungen der öffentlichen Ausgaben mehr soziale Gleichheit und Gerechtigkeit zu erreichen.
Hüben wie drüben ist die Steuerpolitik ein konfliktives Thema, wehren sich die privilegierten Gruppen vehement gegen höhere steuerliche Belastungen. Indem sie weitverbreitete Vorbehalte gegen staatliche Ordnungspolitik aufgreifen, gelingt es ihnen immer wieder, auch soziale Gruppen zu mobilisieren, die von den Steuerreformen profitieren würden – zuletzt bei der Bundestagswahl in Deutschland.

P.S. Wir haben viele Beiträge dieses Schwerpunktes mit Bildern von Ameisen illustriert. Ameisen auf der Haut sind unangenehm, wenn sie beißen, sogar schmerzhaft. Aber Ameisen bilden zusammen hocheffiziente funktionierende Gemeinwesen.