Im Spanischen macht in letzter Zeit der Begriff Conflictos socioambientales die Runde – auf Deutsch etwas sperrig übersetzt mit „soziale Umweltkonflikte“. Bei diesen Konflikten geht es um den Zugang zu und die Kontrolle über natürliche Ressourcen sowie darum, wie sie genutzt werden und welche Rückstände und Zerstörungen dabei entstehen. Unterschiedliche Vorstellungen von „Entwicklung“ und Konzepte davon, was Natur ist und wie mit ihr umgegangen werden soll, stehen dabei im Widerstreit. Eigentlich ein jahrhundertealtes Thema, ein Dauerbrenner, seitdem die europäischen Kolonialmächte damit begannen, sich Lateinamerika unter den Nagel zu reißen. Aber auch ein hochaktuelles Thema, denn die Auswirkungen der kapitalistischen Nutzung und Ausbeutung von Naturressourcen auf Mensch und Natur sind mittlerweile so verhängnisvoll, dass sie auf immer stärkeren Widerstand stoßen.
Gegen die illegitime Aneignung einst gemeinschaftlicher Ressourcen und Territorien durch transnationale Unternehmen haben sich die betroffenen Menschen zu organisieren begonnen. Sie verweisen darauf, dass sie ihrer sozialen und kollektiven Rechte beraubt werden. Die Organisierung im Rahmen der sozialen Umweltkonflikte bildet die neue „Umweltbewegung der Armen“, wie sie der mexikanische Publizist Luis Hernández Navarro in seinem Buch „Wer Beton sät, wird Zorn ernten“ nennt: Sie wehren sich nicht aus einem primär ökologischen Bewusstsein, sondern weil sie für ihre sozialen Rechte eintreten. Und weil es schlicht und ergreifend um ihr Überleben geht. Navarro zufolge „brechen diese Mobilisierungen mit dem falschen Mythos, dass das Engagement für Verteidigung und Erhalt der Umwelt eine Art Luxus der reichen Gesellschaften sei. Im Gegenteil, es ist das wichtigste Terrain der aktuellen sozialen Auseinandersetzungen.“
Bei vielen der vorgestellten Konflikte sind indigene oder kleinbäuerliche Akteure involviert, deren Territorien Ziel von extraktiven Industrien, Infrastrukturprojekten, Agrarindustrie etc. sind. Vielleicht sind ihre Gebiete abgelegen oder dünn besiedelt, auf jeden Fall sind es Gebiete, die für die herrschenden Entwicklungsmodelle „geopfert“ werden können. Schließlich, so das Kalkül, soll sich die dort lebende, „rückständige“ Bevölkerung über die abfallenden Brosamen der Großprojekte freuen. Die Umweltthematik erreicht aber auch andere, eher städtische Regionen, etwa in Argentinien, wo sich in einem Vorort Córdobas seit Monaten ein Protestcamp gegen den Saatgutmulti Monsanto hält. Prompt bekam dieses Camp Anfang Dezember prominenten Besuch, nämlich vom französischen Protestbarden Manu Chao, der schon immer zielsicher die globalen Hotspots des Widerstands aufgespürt hat.
Die aufeinanderprallenden Interessensgegensätze sind häufig komplexer gelagert, als es das einfache Schema „böses transnationales Unternehmen gegen sich wehrende Bevölkerung“ nahelegt. In Bergbaugebieten zum Beispiel gibt es auch immer Teile der lokalen Bevölkerung, die aus verschiedenen Gründen an den versprochenen Fortschritt und Wohlstand glauben. Und fast immer ist die Politik eilfertig bemüht, den Unternehmen, die beileibe nicht nur transnationale Konsortien, sondern häufig auch staatseigene Unternehmen sind, günstige Bedingungen zu schaffen.
Der als „Öko-Fundamentalismus“ diffamierte Widerstand gegen Bergbau, Großprojekte und Agroindustrie scheint der neue Lieblingsfeind vieler – rechter und leider auch linker – Regierungen zu sein. Trotz zunehmendem politischen Druck engagieren sich immer mehr Umweltnetzwerke auf regionaler und landesweiter Ebene gegen die Umweltkatastrophen, in Brasilien etwa das „Brasilianische Netzwerk für Umweltgerechtigkeit“ oder in Peru der „Nationale Verband der von Bergbau betroffenen Gemeinden“ (CONACAMI), um nur einige wenige Beispiele zu nennen und um zu zeigen, dass diese Konflikte tatsächlich eine neue Qualität erreicht haben.
Wie schon im November liegt auch der Dezember-ila unser Brief zum Jahresende bei. Wir sind mehr denn je auf die Unterstützung unserer LeserInnen angewiesen: Wenn die ila überleben soll, brauchen wir dringend neue Abos und Spenden!
Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in die Winterpause. Wir wünschen allen LeserInnen erholsame und genussreiche freie Tage! Die nächste ila erscheint wieder Mitte Februar 2014.