Der Wohnungsmarkt wird immer perverser. Überall explodieren die Mieten, so dass sich sogar die Große Koalition gezwungen sieht, eine Mietpreisbremse einzuführen. Woraufhin Immobilien- und Eigentümerverbände loskrakeelen, eine drohende „Baubremse“ stünde bevor. Der Ist-Zustand: Häuser werden entmietet, um sie nach der Sanierung zu horrenden Preisen neu zu vermieten. Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften wurden privatisiert, ihre Bestände verkauft und der soziale Wohnungsbau auf Null zurückgefahren. Immer mehr Menschen müssen in Außenbezirke ziehen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Wohnungslosen, die auf der Straße oder in Heimen, „Hotels“ oder Abbruchhäusern leben. Besonders MigrantInnen haben auf dem Wohnungsmarkt kaum Chancen. So viel zu Deutschland.
Gentrifizierung betrifft jedoch alle größeren Städte weltweit; in den letzten Monaten ist z.B. einiges über Vertreibungen im Zuge der Neubauten und Stadtaufwertung in den brasilianischen Austragungsorten der kommenden Männer-Fußballweltmeisterschaft berichtet worden. Carlos Vainer, Professor für Urbanistik in Rio de Janeiro spricht von der „Stadt im Ausnahmezustand“: Die neoliberale Stadt, die mit anderen Städten um Investoren, um eine bestimmte Bevölkerungsstruktur, um Großprojekte und Events und somit auch um TouristInnen konkurriert, muss flexibel sein, so dass jeder städtebauliche Eingriff von Fall zu Fall entschieden und die Ausnahme zur Regel wird.
Die AktivistInnen und Zusammenhänge, die sich gegen diese Entwicklungen zur Wehr setzen, berufen sich auf das „Recht auf Stadt“. Der französische Philosoph Henri Lefebvre hatte dieses Konzept in seinem 1968 erschienenen Werk „Le droit à la ville“ entwickelt. Dabei geht es nicht nur um Wohnraumversorgung, sondern auch um Zugang und Beteiligung im städtischen Raum: Das Recht auf Partizipation meint, dass die StadtbewohnerInnen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, die Auswirkungen auf die Produktion und Veränderung städtischen Raums haben. Des Weiteren geht es Lefebvre aber auch um das Recht auf Aneignung des städtischen Raums, das heißt, sich im städtischen Raum frei zu bewegen, Zugang zu allen Einrichtungen und Ressourcen zu haben. Was selbstverständlich klingt, ist de facto vielerorts ausgehebelt: unsichtbare Barrieren, unbezahlbare Preise (für Konsum, Eintrittsgelder und vor allem Verkehrsmittel), Privatisierung des öffentlichen Raums, immer mehr kommerzielle Räume wie riesige Shopping-Malls, die Reglementierung von StraßenhändlerInnen – all dies beschränkt den Zugang und die Aneignungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum.
Ein aktuelles schockierendes Beispiel, allerdings aus einer europäischen Touristenmetropole: Seit Oktober 2013 wird für den Zugang zum Parque Güell in Barcelona ein Eintritt von acht Euro verlangt! Der zwischen 1900 und 1914 von dem katalanischen Künstler Antoní Gaudi erschaffene Park war zuvor öffentlich. Zwar war er schon immer voller TouristInnen, aber auch ein Erholungs- und Begegnungsraum für Familien, Leute mit Hunden und SchachspielerInnen. Verschärft wird das Problem mit der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum durch eine außer Rand und Band geratene Polizei – etwa in Hamburg Anfang des Jahres, wo ein großflächiges Gefahrengebiet grundlegende Bürgerrechte außer Kraft setzte, oder im argentinischen Córdoba, wo dem aktuellen Ordnungwidrigkeitenkatalog zufolge die Polizei befugt ist, jede ihnen „verdächtige“ Person im öffentlichen Raum zu kontrollieren und festzunehmen. An anderen Orten ist vielleicht die Polizei nicht so präsent, dafür wird die Bevölkerung von Maras oder anderen Banden bzw. von den Drogenkartellen selbst in Schach gehalten. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit geht dann so weit, dass Kinder nach der Schule zu Hause eingesperrt werden, damit sie nicht mit den Maras in Kontakt kommen (so etwa in Teilen San Salvadors).
Auch wenn in unserem aktuellen Schwerpunkt so manche bestürzende Entwicklungen aufgezeigt werden, gibt es doch auch Beispiele für Versuche, dem etwas entgegenzustellen und das „Recht auf Stadt“ in die Wirklichkeit umzusetzen. Je mehr Megatrends, Abschottung und Vertreibungen, desto mehr Widerstand für das „Recht auf Stadt“ entsteht.