Unmittelbarer Anlass für einen ila-Schwerpunkt über Jesuiten in Lateinamerika war die Wahl des argentinischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst. In einzelnen Beiträgen haben wir uns auch schon früher mit dem Orden befasst. Wir berichteten über Jesuiten, die sich vehement gegen linke Bewegungen und Projekte stellten, wie den Flamen Roger Vekemans SJ während der siebziger und achtziger Jahre in Chile und Kolumbien. Meist aber ging es um das Wirken von Jesuiten für demokratische Veränderungen, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Das Engagement bezahlten nicht wenige mit ihrem Leben: Rutilo Grande 1977 in El Salvador, Bernard Darke 1979 in Guyana, Luis Espinal 1980 in Bolivien und Ignacio Ellacuría, Ignacio Martín-Baró, Segundo Montes, Amando López, Juan Ramón Moreno, Joaquín López y López sowie ihre Mitarbeiterinnen Elba Julia Ramos und Celina Ramos 1989 in El Salvador. Andere Jesuiten, wie Francisco de Paula Oliva aus Paraguay und Javier Giraldo aus Kolumbien, wurden wegen ihres Kampfes an der Seite sozialer Bewegungen verfolgt, mussten fliehen oder entkamen nur durch Zufall ihren Mördern, wie Andrew Morrison in Guyana und Jon Sobrino in El Salvador. Einige von ihnen kannten/kennen wir persönlich. Sie veröffentlichten Artikel in der ila oder gaben uns Interviews.

Die Geschichte der Societas Jesu (SJ), der Gesellschaft Jesu, so der offizielle Ordensname, ist nicht nur in Lateinamerika voller Wechsel. Ende des 16. Jahrhunderts wurden die ersten Jesuiten zur „Indianermission“ entsandt. Sie ließen sich auf die indigenen Kulturen ein, studierten ihre Sprachen und verfassten wichtige frühe ethnografische und sprachwissenschaftliche Texte über die autochthonen BewohnerInnen des Kontinents. Der spanischen Kolonialordnung entsprechend betreuten sie als Indianerpfarrer Indígenas in Missionsgemeinden, den „Reduktionen“, prägten das Leben der Einzelnen und der jeweiligen Gruppen nach katholischen Regeln und organisierten die Arbeitsabläufe. Die Reduktionen, vor allem die der Jesuiten im heutigen Argentinien, Brasilien, Bolivien und Paraguay, beschäftigen bis heute EthnologInnen, TheologInnen, HistorikerInnen und LiteratInnen. Betonen die einen den Schutz der Indígenas vor den Großgrundbesitzern und Sklavenhändlern, weisen andere auf vermutete egalitäre soziale Beziehungen in den Reduktionen hin. Wieder andere kritisieren den paternalistischen Ansatz der Jesuiten, der die Indígenas entmündigt und in ein autoritäres Arbeitsregime gezwungen habe.

Reaktionäre Kräfte aus der Landoligarchie und der katholischen Hierarchie betrieben in der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts die Vertreibung der Jesuiten aus den spanischen und portugiesischen Kolonien. Diese gehorchten einem Dekret des spanischen Königs und verließen 1767 die Reduktionen, die 1768 vor allem von den Franziskanern übernommen wurden. 1773 löste der Papst den Orden vorübergehend auf. Nach seiner Wiederzulassung 1814 sah die römische Kurie in der „Gesellschaft Jesu“ – wie schon in der Anfangszeit des Ordens – vor allem eine Elitetruppe im Kampf gegen „feindlich gesinnte“ Kräfte. Im 16. Jahrhundert waren das Abweichler von der katholischen Lehre, im 19. Jahrhundert liberal-demokratische Strömungen. Nach einem – vorübergehenden – Sieg liberaler Kräfte in einigen Staaten des Subkontinents gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Jesuiten dort ein zweites Mal vertrieben. Einige Jahre später kehrten sie zurück und engagierten sich erneut primär im Bildungswesen. Vor allem Angehörige der jeweiligen Eliten schickten und schicken auch heute noch ihre Kinder in die Schulen und Universitäten der Jesuiten.

Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) kam es zu einer Neuorientierung des Jesuitenordens. Kernpunkte waren die Entkolonisierung in der katholischen Kirche und eine befreiende Theologie. Jesuiten standen fortan vielerorts an der Seite der Unterdrückten und Ausgegrenzten, wobei es immer auch konservative Tendenzen im Orden gab. Als die römische Kurie ab Ende der siebziger Jahre die Befreiungstheologie zunehmend unter Druck setzte, traf das auch die „Gesellschaft Jesu“. Viele Jesuiten wehrten sich gegen dieses Rollback.

Um ein Bild vom Selbstverständnis der Jesuiten und den Grundlagen ihres Engagements zu vermitteln, halten wir auch in dieser Ausgabe an unserem Prinzip fest, diejenigen, über die wir schreiben, selbst ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Für ihre Mitarbeit an diesem Heft danken wir herzlich unseren jesuitischen Autoren und Interviewpartnern aus Europa und Lateinamerika. Ein besonderes Dankeschön geht an Monika Lauer-Pérez und Michael Huhn, die uns nicht nur durch eigene Beiträge, sondern auch durch die Vermittlung von Kontakten unterstützten.