Das waren noch Zeiten, als der ehemalige BMZ-Minister Dirk Niebel ganz unverblümt davon sprach, dass Deutschland in Sachen Entwicklungszusammenarbeit auf dem besten Wege sei, „Weltmarktführer“ zu werden. Mehr Außenwirtschaftsförderung schien gar nicht mehr zu gehen. Oder die Zeiten, als ganz unverfroren Posten mit Parteifreunden und Bundeswehrkumpanen ohne adäquate Expertise besetzt wurden. Oder als kostspielige Großveranstaltungen wie der „Deutsche Entwicklungstag“ als PR-Aktion veranstaltet wurden, mit albernen Afrika-Safari-Plakaten beworben und ohne wirklichen Einbezug der zivilgesellschaftlichen Akteure, um deren Engagement es letztlich gehen sollte.
Ja, da war das Feindbild glasklar, Pappkamerad Niebel, Fallschirmjäger a.D. Und jetzt? Nun haben wir einen ehemaligen Schweinefleischverkäufer (wie die taz Ende letzten Jahres garstig titelte) im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ): Gerd Müller, CSU-Mann und der Agrarlobby nahestehend. Er hat in den letzten Wochen zunächst recht versöhnliche Töne von sich gegeben. Die verblüffendsten Stichworte seiner Antrittserklärungen und -interviews lauten: soziale Marktwirtschaft, Ungerechtigkeiten abbauen, Grenzen des Wachstums gar! Nach den grausamen Niebeljahren fühlt man sich wohlig eingelullt. Aber machen wir uns nichts vor. Entwicklungszusammenarbeit (EZ) war schon immer auch interessengeleitet, diente der Außenwirtschaftsförderung und Erschließung von Märkten. Darüber schrieb die ila schon 1982: „Aber es ist doch nicht seine Schuld, wenn der Name seines Ministeriums 25 Jahre lang falsch gelesen wurde. Es hieß nie ‚Entwicklungshilfeministerium’, sondern immer ‚für wirtschaftliche Zusammenarbeit’, und die funktioniert doch prächtig!“
Dass die EZ heute, über 30 Jahre später altruistisch(er) geworden ist, glaubt auch keine/r der Beteiligten, wenn er/sie ehrlich ist. Dennoch hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan: Die EZ kann nicht mehr für den Kalten Krieg instrumentalisiert werden, denn der ist längst vorbei. Mittlerweile laufen viele EZ-Vorhaben über die Europäische Union, neue Themen wie Klimawandel, ökologische Krisen oder Energieversorgung bestimmen die globale Agenda. Und bei einigen mittlerweile zu Schwellenländern aufgestiegenen Empfängerländern, wie z.B. Brasilien oder Chile, stellt sich die Frage, ob EZ-Zuwendungen überhaupt noch zeitgemäß sind.
Die jüngste Diskussion dreht sich um die „Neue globale Entwicklungsarchitektur“, die für den „Post-2015-Prozess“ gelten soll. Denn: Was kommt nach 2015? Schließlich sollen nächstes Jahr bereits die acht Millennium-Entwicklungsziele (MDGs), die im Jahr 2001 von den Vereinten Nationen formuliert wurden, erreicht sein. Danach gilt die Post-2015-Agenda. Eine Frage dabei lautet, wer die Entwicklungszusammenarbeit künftig finanzieren soll.
Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), wies letzten Monat in einem Workshop der Eine-Welt-Landeskonferenz in Bonn darauf hin, dass sich die EZ zwar schon seit der Gründung des Ministeriums in einer permanenten Legitimationskrise befinde. „Doch heute funktionieren die alte Philosophie und Begrifflichkeiten vom ‚Geber’ und ‚Nehmer’ nicht mehr. Die westlichen Vorstellungen werden längst nicht mehr einfach akzeptiert.“ Eine gute Botschaft, finden wir!
Der Direktor des DIE wiederum findet es gut, dass der neue Minister Gerd Müller wieder von „Solidarität“ spricht (unter Dirk Niebel übrigens ein Tabu-Wort, das aus jedem Konzeptpapier herausgestrichen werden musste!). Messners Meinung nach müsse aber die grundsätzliche Frage gestellt werden, wie Außenbeziehungen in Zukunft organisiert werden sollen. Deshalb fordert er ein neues Ministerium für die globalen Entwicklungsfragen, die in den nächsten zwei Dekaden wichtig sein werden: Armut und Sicherheit; Ressourcen, Klima, Energie, Städte; Innovation, Technologie, Wissenschaft. Das wäre dann ein neues Superministerium, das die EZ aus ihrer bisherigen Nischenposition herauskatapultieren würde. Ein Superministerium wünschen wir uns nicht unbedingt herbei, aber auch uns treiben die genannten Themen und die Frage um, wo die EZ heute steht. Einige Antworten darauf stehen in dieser ila-Ausgabe.