Zu den Themen, die sich durch inzwischen fast 40 Jahre Geschichte der ila ziehen, gehört die Erinnerung an die Opfer staatlicher Gewalt und Repression. In unseren Anfangsjahren herrschten in den meisten südamerikanischen Staaten Diktaturen, die koordiniert über die „Operation Cóndor“ ihre GegnerInnen verhafteten, folterten, verschwinden ließen und ermordeten. Schon vor dem Erscheinen der ersten Ausgabe der ila (anfangs noch ila-info) veröffentlichten wir Broschüren über Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika, damit das, was in Lateinamerika – teilweise mit deutscher Unterstützung und deutschen Waffen – angerichtet wurde, auch hier dokumentiert und bekannt wurde.
Als die Diktaturen Südamerikas in den achtziger und in Chile und Zentralamerika in den neunziger Jahren abtreten mussten, begann der Kampf darum, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Meistens hatten die Militärs vor ihrem Rückzug Amnestiegesetze erlassen, die eine juristische Verfolgung ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit unmöglich machen sollte. Außerdem drohten sie mehr oder weniger unverhohlen mit erneuten Staatsstreichen, sollte man versuchen, sie juristisch zu belangen. In Argentinien, wo die durch das Malvinenkriegsdesaster geschwächte Armee eine juristische Verfolgung zunächst nicht verhindern konnte, setzte sie mit mehreren Militärrebellionen unter der Zivilregierung Alfonsín ihre Immunität durch.
Doch Opferverbände, Menschenrechtsgruppen und demokratische Organisationen gaben nicht auf, gegen die Straflosigkeit zu kämpfen. Teilweise mit dem Umweg über Verfahren in europäischen Ländern betrieben sie die Verfolgung der Täter weiter. Inzwischen haben mehrere südamerikanische Staaten die Amnestiegesetze aufgehoben. Bei den öffentlichen Debatten drang immer stärker ins öffentliche Bewusstsein, dass die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen nicht nur in den Reihen der Militärs zu suchen waren. Zivile Repräsentanten der Wirtschaftsverbände gehörten als Finanz-, Wirtschafts- oder Landwirtschaftsminister den Militärregierungen an und bestimmten mit, wer verfolgt oder verschwinden gelassen wurde. Deshalb spricht man in Lateinamerika heute in der Regel nicht mehr von Militärdiktaturen, sondern von zivil-militärischen Diktaturen und fordert, auch deren zivile Mitglieder zur Verantwortung zu ziehen.
Gleichzeitig mit der Verfolgung der Täter setzten die überlebenden Opfer und die Angehörigen der Ermordeten und „Verschwundenen“ Einrichtungen wie Gedenkstätten oder Museen durch, mit denen der Opfer und ihrer Leiden gedacht werden sollte. Das Bestreben der Regierungen der Nach-Diktaturen-Ära war dabei, die Kontrolle über die Gestaltung dieser Erinnerungsorte zu haben. Wichtig war ihnen vor allem, die Geschichte von Repression und Verfolgung als abgeschlossenes Kapitel dunkler Vergangenheit zu sehen, das durch sie in eine nun leuchtende Gegenwart überführt worden sei. Das Aufzeigen von Kontinuitäten soll(te) – ähnlich wie bei der „Aufarbeitung“ der NS-Vergangenheit bei uns – tunlichst vermieden werden.
Anders problematisch ist der Umgang mit der Erinnerung in Ländern wie Kolumbien und Mexiko, wo die staatliche Gewalt weiterhin Opfer fordert und die Repression ohnehin nicht als abgeschlossenes Thema betrachtet und dargestellt werden kann. Erinnerung und die Gestaltung von Erinnerungsorten ist somit ein umkämpftes Terrain. Es geht um Deutungshoheiten darüber, wer für was verantwortlich war/ist und was überhaupt zu den Konsequenzen der staatlichen Gewalt gehört und auch, wem Entschädigungen für hinterlassenes Unrecht zustehen.
Diese ila bringt umfangreiches Material zu den vielfältigen Facetten des Themas. Die Beiträge und Interviews zeigen die unterschiedlichsten Konzepte von Erinnerungs- und Gedenkorten, wann und wo diese politisch instrumentalisiert werden (können) und fragen, ob und inwieweit Opfer- und Angehörigengruppen in die Gestaltung von Gedenkstätten eingebunden wurden und sich in den Ergebnissen wiederfinden können.
Auch dieser Schwerpunkt wäre nicht ohne vielfältige Hilfestellungen, Anregungen und Überlegungen von Menschen außerhalb der ila-Redaktion zustande gekommen. Besonderer Dank dafür geht diesmal an Rainer Huhle, Beatriz Brinkmann und Peter Strack.