In den letzten Jahren haben wir immer mal wieder Beiträge über sklavereiartige Arbeitsverhältnisse in Lateinamerika veröffentlicht. Dazu gehören immer noch existierende Zwangsarbeitsverhältnisse in der Prostitution, in traditionellen Agrarbetrieben, wo Arbeiter in Schuldknechtschaft gehalten werden, oder in bürgerlichen Haushalten, wo die Muchachas rund um die Uhr dienstbar sein müssen, aber ebenso neue in „modernen“ Sektoren wie Textilfabriken, Großbaustellen, Bergwerken oder auf Frachtschiffen.
Die vollständige Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse bedeutet also keineswegs, dass Sklavenarbeit verschwindet und durch „freie Lohnarbeit“ ersetzt wird. Im Zuge der weltweiten neoliberalen Umstrukturierung scheint Sklavenarbeit sogar zuzunehmen.
Schnell standen wir vor der Frage der Definition. Schlechte Arbeitsbedingungen, Löhne, die nicht zu einem würdevollen Leben reichen, Verbot gewerkschaftlicher Organisierung oder der Zwang, auch die mieseste Arbeit zu machen, weil deren Verweigerung Hunger und absolutes Elend bedeuten würde, sind keine Merkmale von Sklaverei, sondern Kennzeichen des Kapitalismus des 19. wie des 21. Jahrhunderts.
Als spezifisches Element von Sklavenarbeit erschien uns die Unmöglichkeit, einen unerträglichen Arbeitsplatz zu verlassen, weil den da arbeitenden Menschen die Papiere abgenommen werden, sie mit Gewalt zur Weiterarbeit gezwungen werden oder weil sie sich in einer unendlichen Schuldenspirale befinden. Bei den Recherchen merkten wir, dass die Abgrenzungen komplizierter sind. Es gibt Zwänge und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die wir vorher nicht präsent hatten. Etwa diese: ArbeiterInnen auf einer Großbaustelle oder in einem Bergwerk könnten zwar formal kündigen, faktisch aber nicht, weil es keine oder völlig unzureichende Transportmöglichkeiten gibt, um vom Arbeitsort wegzukommen. Oder der familiäre Druck ist so groß, dass sich Männer weiter im Goldbergbau ihre Gesundheit ruinieren, MigrantInnen sich in Lebensgefahr begeben oder Frauen auf den Strich gehen, weil ohne ihren noch so bescheidenen Beitrag das Überleben ihrer Eltern, Geschwister oder Kinder gefährdet wäre oder sie selbst bei ihrer Rückkehr noch zusätzliche EsserInnen wären.
Wir merkten, dass die Übergänge zwischen Sklavenarbeit und anderen entwürdigenden Arbeitsformen fließend sind, dass aber – wie die AutorInnen einer bolivianischen Studie feststellen – die Verletzlichkeit umso größer ist, je ärmer und abhängiger die Menschen sind. In den letzten Jahren bekommt das Thema der neuen Sklavenarbeit wachsende Resonanz. Nichtregierungsorganisationen prangern sie an, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) veröffentlicht Berichte, Regierungen kündigen verschärftes Vorgehen gegen Zwangsprostitution an oder richten – wie Argentinien und Brasilien – besondere Dienststellen zur Bekämpfung der Sklavenarbeit ein. Doch gibt es dabei zahlreiche Widersprüche. Zur medialen Aufmerksamkeit braucht es Skandalisierung. Skrupellose Sklavenhalter bieten sich als Feindbild an. Die Betreiber kleiner Textilklitschen werden wegen mieser Arbeitsbedingungen an den Pranger gestellt; die Markenfirmen, die die Niedrigstpreise und damit die Arbeitsverhältnisse diktieren, geben sich empört und kündigen an, da und dort nicht mehr produzieren zu lassen – und tun es dann anderswo, wo die Konditionen für die Beschäftigen auch nicht besser sind. In Talkshows schwadronieren gutsituierte Anzugträger darüber, dass Billigklamotten schlechte Arbeitsbedingungen bedeuten, und ignorieren, dass teure Markenkleidung unter denselben Bedingungen produziert wird. Illegale Goldbergwerke in Peru werden bekämpft, die legal arbeitenden Bergwerksunternehmen jedoch hofiert. Staatliche Stellen in Europa wie in Lateinamerika berichten stolz, wenn sie Frauen aus den Klauen von Menschenhändlern oder SklavenarbeiterInnen aus einem illegalen Betrieb oder Bergwerk befreit haben und schieben eben diese „Befreiten“ am nächsten Tag ab – zurück in die Bedingungen, aus denen sie um jeden Preis weg wollten. Die Illegalisierung der Migration ist ein weiterer Faktor, der ständig Menschen in Sklavenarbeitsverhältnisse zwingt.
Der Kampf gegen Sklavenarbeit bedeutet deshalb Kampf der Menschen um würdige Lebensbedingungen. Den kann niemand anders für sie führen, man kann und soll sie aber dabei unterstützen!