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Das oft als machohaft verschriene Argentinien wird nun schon seit sieben Jahren von einer selbstbewussten, kämpferischen Frau regiert: Cristina Fernández de Kirchner (geläufige Abkürzung: CFK). Beweise für die Power und Kampfeslust von Argentiniens Präsidentin sind schnell gefunden: etwa der Umgang mit den Auslandsschulden. Mit den zu Zeiten der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise 2001/2002 zu Billigstpreisen erworbenen Wertpapieren wollten die Anleger nach Erholung der Kurse exorbitante Gewinne einfahren. Doch Argentinien handelte zwei umfangreiche Umschuldungen aus, an der sich 92,4 Prozent der Gläubiger beteiligten. Als die daran nicht beteiligten Hedgefonds mit Hilfe eines US-Urteils die ausstehenden Zahlungen forcieren wollten, bot ihnen CFK die Stirn. Bisher ist immer noch nicht die Apokalypse eingetreten, wie so viele Medien noch Mitte 2014 verkündeten. Ein Schuldenschnitt ist also möglich, ebenso der Widerstand gegen „Geierfonds“. Auch wenn der Ausgang ungewiss ist, kann das argentinische Beispiel zumindest interessante Aufschlüsse geben. Vielleicht ein Vorbild für Griechenland?

Das zweite Beispiel: Der korrupte Geheimdienst SIDE wird endlich aufgelöst. Dessen Mitarbeiter hatten die Aufklärung des traumatischsten Attentats in der jüngsten argentinischen Geschichte – den Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA – aktiv behindert. CFK sagte selbst bei der Verkündung dieser Entscheidung, dass die Auflösung seit Ende der Diktatur 1983 eine „noch einzulösende demokratische Schuld“ gewesen sei. Vielleicht ein Vorbild für Deutschland? Auch hierzulande ist schon mal die Forderung, den Verfassungsschutz aufzulösen, aufgekommen, Stichwort (Nicht-)Aufklärung des NSU-Terrors: Verschiedene Ebenen in den Verfassungsschutzämtern hatten nicht nur von den Taten des rechtsterroristischen Trios Kenntnis, sondern unterstützten auch noch das Umfeld des NSU mit bezahlten V-Männern.

Das (Selbst-)Bild der Kirchner-Regierungen seit 2003 besteht darin, Argentinien in ein anderes Land verwandeln zu wollen – mit mehr Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Souveränität. Zu Letzterem gehören Schritte wie das bereits erwähnte Agieren den internationalen Gläubigern gegenüber, bestimmte (Teil-)Verstaatlichungen wie etwa von Aerolineas Argentinas oder des Erdölunternehmens YPF-Repsol. Ein weiteres wichtiges Element ist laut dem argentinischen Sozialwissenschaftler Atilio Borón die klare außenpolitische Positionierung auf Seiten der lateinamerikanischen Länder, die eine Emanzipations- und Umverteilungspolitik gestartet hatten: Venezuela, Ecuador, Bolivien, nicht zu vergessen die guten Beziehungen zu Cuba.

Das mit der Gleichheit und Gerechtigkeit in Argentinien ist schon schwieriger. Zuerst erholte sich die Wirtschaft nach der Staatspleite von 2001. Fast zehn Jahre lang gab es kräftige Wachstumsraten aufgrund hoher Nachfrage und Weltmarktpreise für commodities wie Soja und Bodenschätze wie Gas, Öl oder Metalle. Aus den Erlösen bzw. aus dem, was für den argentinischen Staat dabei abfiel (der durchaus, wie Bolivien, den transnationalen Förderunternehmen auch höhere Abgaben abtrotzen könnte), konnten Sozialprogramme für mehr Teilhabe und Umverteilung finanziert werden, die sich jedoch in den letzten Jahren gegen die zweistellige Inflation nur noch schwer behaupten können. Darunter leiden gerade die einkommensschwächsten Schichten, die zudem durch die hohe Mehrwertsteuer besonders stark belastet werden. Wie lange kann das noch gut gehen? Damián Szifrón, Regisseur des megaerfolgreichen argentinischen Kinohits 2014, Relatos Salvajes, meint dazu lapidar: „Bei steigender Ungleichheit nimmt die soziale Gewalt zu.“

Ist der Kirchnerismus eine verbesserte und aktualisierte Form des Peronismus? Oder bleibt er gefangen in dessen alten Merkmalen eines die Massen einlullenden Programm aus Pop, Kitsch, Sozialprogrammen und nationaler Rhetorik, gewürzt mit einer Prise Klassenkampf, das außerhalb von Argentinien kaum jemand begreift? Brot und Spiele fürs Volk, etwa „Fußball für alle“, also die staatliche Subventionierung der vorher im Bezahlfernsehen übertragenen Fußballspiele der Ersten Liga.

Die Alternativen? Auf jeden Fall schlechter. Ein Konkurrent für die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 ist beispielsweise der Unternehmer und ehemalige Fußballvereinspräsident Mauricio Macri. Der amtierende Bürgermeister von Buenos Aires hat die öffentliche Infrastruktur in der Hauptstadt vor die Hunde gehen lassen. Anfang Januar ließ er 20 Kulturzentren schließen. Falls er Präsident wird, werde er – so seine Ankündigung – mit der Menschenrechtspolitik Schluss machen. Keine guten Aussichten für Argentinien.