Dieser ila-Schwerpunkt erscheint vor dem Hintergrund der vorsichtigen Entspannung zwischen den USA und Cuba. Für diejenigen, die die Beziehungen zwischen beiden Ländern schon länger beobachten, kommt die jüngste Entwicklung nicht überraschend. Schon seit einiger Zeit mehren sich in den USA die Stimmen, die für eine Annäherung plädieren. Auch die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in Lateinamerika und der Welt haben zum Umschwung beigetragen. Zu nennen sind etwa die neue multipolare Weltlage mit einem erstarkten China, Russlands wiedererwachtes Interesse an Cuba, das neue Selbstbewusstsein und die Ansätze zur Integration Lateinamerikas und die weltweite Kritik an der Blockade Cubas. Gleichzeitig machen die geostrategische Lage, die Nähe zu den USA, die gut ausgebildeten Arbeitskräfte und nicht zuletzt die Erdölfunde die Insel zunehmend attraktiv für internationale Investoren. Dies ist auch den US-Unternehmen nicht entgangen, die sich nicht als letzte in der Schlange anstellen wollen. Im Übrigen ist es nun keineswegs so, dass die US-Cubapolitik ihr langfristiges Ziel, nämlich die Restauration kapitalistischer Verhältnisse auf der Insel, aufgegeben hätte. Nur scheinen heute in Washington relevante Kräfte auf einen „Wandel durch Annäherung“ zu setzen.
Unser letzter Schwerpunkt zu Cuba erschien vor neun Jahren, nachdem Raúl Castro seinen Bruder Fidel als Staats- und Parteichef abgelöst hatte. Seitdem gibt es auf Cuba einen Wandlungsprozess, von dem international in erster Linie die wirtschaftlichen Neuerungen auf Basis von mehr „Privatinitiative“ wahrgenommen werden. Diese haben zur ökonomischen Stabilisierung beigetragen, führen aber auch zu mehr sozialer Ungleichheit. Aber auch politisch gibt es Veränderungen: Es wird offener über Widersprüche – gerade in Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen – diskutiert. Die politischen Partizipationsorgane wie das Parlament oder die Strukturen der Poder Popular begleiten die Veränderungsprozesse durchaus kritisch, sodass längst nicht alle Reformprojekte der Regierung einfach so durchgehen. So konnte sie etwa die weitgehende Abschaffung der Bezugskarten, die den meisten CubanerInnen einen Zugang zu stark verbilligten Lebensmitteln sichern, nicht durchsetzen.
Actualizar el modelo cubano – davon ist auf der Insel zurzeit viel zu hören und zu lesen. Die englische Entsprechung ist Updating Cuba. In der Computersprache ist das Update ein kleines Programm, das ein größeres Programm auf den aktuellsten Stand bringt. Damit sollen – so der Anspruch – Fehler behoben und durch Verbesserungen die Sicherheit, Stabilität und Leistung erhöht und das Programm optimiert werden. Allerdings arbeiten in einem System verschiedene Programme, und wenn eines aktualisiert wird, kann es sein, dass es Schwierigkeiten mit einem anderen, noch nicht aktualisierten Programm gibt. Mitunter wird das System dadurch instabil und hängt sich auf. Dann muss die Aktualisierung rückgängig gemacht und ein Wiederherstellungspunkt vor dem Update gesucht werden. Das Problem verstärkt sich, wenn sich die Aktualisierungen häufen und soweit in das System eindringen, dass ein Zurück nicht mehr möglich ist. Dann bleibt nur noch die Recovery-Option mit dem möglichen Verlust der eigenen Daten oder – noch drastischer – die Anschaffung eines neuen Systems.
Diese Allegorie spiegelt die Situation Cubas wider. Das cubanische Experiment, eine gerechtere Gesellschaft auf der kleinen Insel mit 11 Millionen Menschen zu schaffen, ist in seiner über 56-jährigen Geschichte nicht ohne Aktualisierungen ausgekommen. Dabei ging es oft um kleinere Updates. Doch heute geht es um mehr.
Die sozialen Errungenschaften Cubas, die vor allem durch die fast 30-jährige Unterstützung durch die Sowjetunion erst möglich geworden waren, stehen erneut auf dem Spiel. Nach dem Wegfall dieser massiven Hilfe war es nur mit drastischen Einsparmaßnahmen möglich, einen Zusammenbruch zu verhindern. Später, vor allem mit der Wahl von Chávez in Venezuela und der Intensivierung der Zusammenarbeit beider Länder, konnte die sowjetische Unterstützung zwar nicht völlig kompensiert, aber die Not deutlich gelindert werden. Zusätzlich kam die Öffnung des Landes für den internationalen Tourismus, die Cuba überlebenswichtige Deviseneinnahmen beschert, aber auch zu mehr sozialer Ungleichheit geführt hat.
Doch allein eine für Cuba positivere Weltlage wird die Revolution nicht über Wasser halten. Wichtige Schritte zur Stärkung der cubanischen Wirtschaft wären die größere Selbstversorgung mit Lebensmitteln und die weitere Umstellung auf alternative, nicht fossile Energiequellen. Andere Devisenquellen, jenseits vom Tourismus und dem Export von Gesundheitsleistungen, müssten weiter entwickelt und ausgebaut werden. Hier gibt es durchaus Ansätze, etwa die Pharmaindustrie, wo Forschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung in cubanischer Hand liegt.
Trotz unserer Kritik am Macht- und Definitionsmonopol einer autoritären Staatspartei und der Monopolisierung aller wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen durch eine kaum kontrollierbare Staatsbürokratie setzen wir weiter große Hoffnungen in eine Entwicklung, die mehr politische Partizipation ermöglicht, Selbstverwaltungsstrukturen fördert, soziale Absicherung gewährleistet und einen verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen schafft.