Am 26. Oktober 2014 wurde Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT im zweiten Wahlgang mit 51,64 Prozent der Stimmen als Präsidentin Brasiliens wiedergewählt. Die linken Organisationen und sozialen Bewegungen in ganz Lateinamerika waren wie wir erleichtert, dass der befürchtete Rechtsruck ausblieb und Brasilien weiterhin zu den Ländern mit einer am sozialen Ausgleich orientierten Regierung gehört. Doch die Bedingungen haben sich verschlechtert. In den Parlamentswahlen, die parallel zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen stattfanden, konnte die Rechte deutlich zulegen und ihre ohnehin starke Position im Kongress ausbauen. Sie hat in jüngster Zeit mehrere Gesetze durchgebracht, die die Rechte der ArbeiterInnen und der Indigenen einschränken. Gleichzeitig versucht sie, die Präsidentin durch Straßenproteste zu demontieren.

Alle seit 2004 von der PT geführten Regierungen waren bestenfalls Mitte-Links-Koalitionen. Die PT, einst linkssozialistisch, heute eher sozialdemokratisch, stellte nie mehr als 20 Prozent der Abgeordneten und musste für parlamentarische Mehrheiten breite Koalitionen eingehen. Eine Schlüsselpartei nahm dabei stets die „Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens“ (PMDB) ein. Einst von der Militärdiktatur als „Oppositionspartei“ im autoritären Staat gegründet, präsentierte sie sich nach Ende der Diktatur als „unideologisches“ Sammelbecken unterschiedlicher politischer Tendenzen – vor allem aber mächtiger politischer Interessengruppen. Hier tummeln sich die die RepräsentantInnen der großen Unternehmen, Banken und des Großgrundbesitzes und sorgen dafür, dass jede Regierung in ihrem Interesse agiert.
Die Agraroligarchie hat zudem als mächtiges Instrument die fraktionsübergreifende Bancada Ruralista, die von mehr als der Hälfte der Kongressmitglieder unterstützt wird und Politik im Sinne der GroßagrarierInnen durchsetzt. Ihre Leute stehen – auch in den PT-geführten Regierungen – an der Spitze des Agrarministeriums, während die Linken das weniger wichtige Agrarreformministerium leiten dürfen. In ersterem wird die brasilianische Landwirtschaftspolitik gemacht, letzteres teilt jährlich einigen tausend Landlosen in bescheidenem Umfang vormals staatliches Land zu.
In der jetzigen Regierung Rousseff leitet Kátia Abreu von der PMDB das Agrarministerium. Die Ministerin war von 2009 bis 2014 Vorsitzende der Nationalen Landwirtschaftskommission CNA, des Verbandes der GroßgrundbesitzerInnen!

Angesichts solcher Personalien ist klar, dass in den inzwischen zwölf Jahren PT-geführter Regierungen Macht und Einfluss der Agrarlobby eher gewachsen sind. Der Großgrundbesitz wurde nicht angetastet und speziell die exportorientierte Agroindustrie erhält im großen Umfang staatliche Kredite zu äußerst günstigen Konditionen.
Die sozialen Bewegungen haben nach dem ersten Wahlsieg der PT vergeblich auf eine tiefgreifende Agrarreform, also die Teilenteignung des Großgrundbesitzes, gehofft. Ähnlich wie vor drei Jahrzehnten die spanische Sozialdemokratie (PSOE) den Konflikt mit den GroßgrundbesitzerInnen scheute und die Situation der LandarbeiterInnen durch staatliche Zuwendungen verbesserte, versucht auch die PT durch soziale Reformen, allen voran das Null-Hunger-Programm, die Armut auf dem Land zu bekämpfen. Das ist ihr in durchaus beeindruckender Weise gelungen. Allerdings – auch hierfür ist das heutige Spanien ein Beispiel – werden staatliche Transferleistungen in Zeiten wirtschaftlicher Krisen stets wieder in Frage gestellt und abgebaut. Den Landlosen droht dann erneut Verarmung oder gar Verelendung.
So bleibt der Kampf um Land in Brasilien auf der Tagesordnung. Die Landlosenbewegung MST feierte jüngst ihr 30-jähriges Bestehen. Durch kontinuierliche, gut geplante Landbesetzungen, den Aufbau von Kooperativen und eine kluge Bündnispolitik konnte sie über drei Jahrzehnte ihre Kampfkraft bewahren und ihre Basis ausbauen.

Doch ist der Kampf um eine andere Agrarpolitik noch zeitgemäß in einem Land, in dem 85 Prozent der Bevölkerung in den Städten lebt? Ja! Das spüren heute auch die Menschen in den brasilianischen Metropolen, wo infolge massiver Abholzungen und einer auf zunehmenden Wasserverbrauch orientierten industriellen Landwirtschaft das Wasser immer knapper wird.

Nach dem Schwerpunkt „Menschenrechte in Mexiko“ im März ist diese ila-Ausgabe unser zweites großes Kooperationsprojekt in diesem Jahr. Diesmal hat die Arbeitsgruppe Menschenrechte Brasilien im Allerweltshaus Köln (www.allerweltshaus-brasilien.de) den Schwerpunkt zusammengestellt. Ihr gilt unser besonderer Dank.

 

Zur brasilianischen MST und allgemein zum Kampf der Landlosen vgl. auch die Schwerpunkte der ila 261 (Dezember 2002) und ila 289 (Oktober 2005).