Unser alljährlicher Städteschwerpunkt „Gesichter einer Metropole“ in der Sommer-ila sucht in diesem Jahr die Annäherung an eine Stadt, die kaum jemand für eine Metropole hält. Die Rede ist von Managua. An der Größe kann es nicht liegen, denn in der nicaraguanischen Hauptstadt leben mehr als eine Million Menschen, im Großraum Managua sogar mehr als zwei Millionen. Aber die Stadt ist ohne Zweifel anders als andere Metropolen. Denn ihr fehlt ein historisches Zentrum mit repräsentativen Gebäuden, Plätzen und Alleen. Schuld daran ist ein verheerendes Erdbeben, das am 23. Dezember 1972 die Stadt verwüstete. Damals starben 5000 Menschen, und 90 Prozent der Bausubstanz Managuas wurde zerstört. Damit verlor die Stadt, die bereits bei einem früheren Erdbeben am 31. März 1931 große Schäden erlitten hatte, vollends ihr Gesicht. Die Chance, sie zügig zu rekonstruieren, wurde damals vertan, denn die internationalen Hilfsgelder flossen überwiegend nicht in den Wiederaufbau, sondern auf die Privatkonten des Diktators Anastasio Somoza und seines Familienclans. In der Bevölkerung stieg deshalb die Wut über die Diktatur, aber es sollte noch fast sieben Jahre dauern und Tausende von Menschenleben kosten, bis am 19. Juli 1979 die KämpferInnen der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN in Managua einzogen und die Diktatur Somozas beendeten.
Auch nach der sandinistischen Revolution im Jahr 1979 kam es nicht zu einer Rekonstruktion des historischen Zentrums. Zum einen wollte die revolutionäre Regierung die knappen Ressourcen der Bevölkerung in allen Landesteilen zukommen lassen und besonders die ländlichen Regionen fördern, zum anderen verschlang der Krieg gegen die von der US-Regierung finanzierten und trainierten Contra-Rebellen ab 1981/82 den größten Teil der für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vorgesehenen Mittel.
So vollzog sich die weitere Entwicklung der Stadt, besonders seit der Wahlniederlage der SandinistInnen im Jahr 1990, vor allem nach den Regeln des Marktes. Um die Kaufkraft der Ober- und Mittelschichten sowie von denjenigen NicaraguanerInnen abzuschöpfen, die von Verwandten in den USA finanziell unterstützt wurden, entstanden moderne Shopping-Center und elegante Wohnviertel. Gleichzeitig breiteten sich die prekären Siedlungen mit ihren einfachen Hütten und völlig unzureichender Infrastruktur weiter aus. Oft fehlt es dort an Wasserversorgung, Abwasserkanälen, Elektrizität, Zugang zum städtischen Nahverkehr.
Erst im letzten Jahrzehnt – nach der Rückkehr der FSLN in die Regierungsverantwortung im Jahr 2006 (in Managua stehen die Sandinisten bereits seit 2000 wieder an der Spitze der Kommunalverwaltung) – wurde einiges in den Städtebau investiert, etwa in die Anlage neuer Flanier- und Naherholungszonen am Ufer des Managuasees, um die Hauptstadt attraktiver zu machen. Offensichtlich werden diese Angebote genutzt, während man über die 94 Árboles de Vida eher geteilter Meinung ist. Diese nachts hell erleuchteten Metallbäume hat die Präsidentengattin Rosario Murillo der Stadt verordnet. Ein Beitrag zum besseren Feng Shui Managuas (ein Steckenpferd der First Lady) oder einfach Energieverschwendung?
Wenn es Nacht wird in Managua und die gleißende Sonne am Himmel verschwindet, war es aber auch vor den 94 Bäumen noch nicht überall dunkel. Wer ein Auto hat, der macht sich auf in die Clubs und Spelunken der Stadt – Frauen sitzen dabei eher auf dem BeifahrerInnensitz. Zwei in dieser ila vorgestellte Romane aus Managua berichten über Sex, Drugs and Crime und verraten auch einiges über Geschlechterverhältnisse und Gewalt.
Auch wenn Managua vielen NicaraguanerInnen wegen der Alltagskriminalität als „gefährliche“ Stadt gilt, ist die Sicherheitslage dort sehr viel entspannter als in anderen mittelamerikanischen Hauptstädten wie Guatemala, San Salvador und Tegucigalpa. Und viele der EinwohnerInnen lieben ihr Managua und leben trotz aller Widrigkeiten gerne dort, auch wenn die geologischen Gegebenheiten es nicht ausschließen, dass sich ähnlich schlimme Erdbeben wie 1931 und 1972 jederzeit wiederholen können.