Jedes Thema, das groß und bewegend ist, spannend und lustig, ist auch etwas für Kinder. Es gibt kein Thema, das zu hoch oder zu kompliziert für sie wäre; sie akzeptieren auch grausame und phantastische Stoffe, aber sie vertragen nichts Langweiliges, Unlogisches, Gekünsteltes, Verlogenes. Wer bei Kindern ankommen will, muss deshalb besser schreiben können, als einer, der für Erwachsene schreibt“, so der Herausgeber Peter Schultze-Kraft, der über viel Erfahrung mit lateinamerikanischer Literatur und ihren Übersetzungen verfügt. No es fácil (wie die Leute auf Cuba sagen würden), – es ist nicht einfach, gerade in Zeiten von schneller Ablenkung durch Youtube und Smartphones, den Nachwuchs ans Buch zu bringen. Wie viel schwerer muss es dann Literatur aus entfernten Weltregionen haben?

Übersetzungen von Kinder- und Jugendbüchern aus Lateinamerika ins Deutsche haben allerdings mittlerweile eine jahrzehntelange Tradition. Besonders zu Hochzeiten der internationalen Solidarität mit Lateinamerika, mit den revolutionären Bewegungen und dem Widerstand gegen Militärdiktaturen in den 70er- und 80er-Jahren galten Kinder- und Jugendbücher auch als politisches Werkzeug und Instrument zur Weiterbildung.
Das ist heute eher verpönt. So meint eine Kollegin des Schweizer Baobab-Verlags in dieser Ausgabe, manche Werke, die in Lateinamerika „funktionieren“, würden durch ein Zuviel an Moral und Botschaft hier etwas abschrecken. Aber das gilt zum Glück nicht für alle – Bücher wie LeserInnen. Viele der übersetzten Kinder- und Jugendbücher eignen sich hervorragend für das „globale“ oder „interkulturelle“ Lernen, wenn sie Themen zum Inhalt haben, die für diesen Weiterbildungsbereich wesentlich sind: Armut, Ungleichheit, das Leben der Straßenkinder, politische Verfolgung, Widerstand gegen politische Willkür oder die Lebenswelten der indigenen Bevölkerung. Aber auch Lyrik, Sagen und Märchen verweisen auf eine reiche Tradition literarischen Schaffens für die jüngeren LeserInnen und ZuhörerInnen.

Literatur ist immer auch Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Das gilt natürlich für Kinder- und Jugendbücher genauso wie für „Erwachsenenliteratur“. Dies verdeutlichen nicht nur die aufgegriffenen Themen der neueren Titel, sondern auch die Debatten über Klassiker dieses Genres: etwa eine neue Sensibilität gegenüber Rassismus, Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung, das Aufbrechen von Gender-Klischees, das uralte und zeitgleich hochaktuelle Thema Migration samt ihren Auswirkungen auf innerfamiliäre Betreuung und Bezugspersonen oder die für immer mehr Kinder alltägliche Bilingualität.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo AutorInnen aus diesem literarischen Bereich fast ausschließlich für Kinder bzw. Jugendliche schreiben, fällt in Lateinamerika auf, dass viele renommierte AutorInnen nicht nur für ein erwachsenes Publikum, sondern auch für Kinder schreiben. José Martí, Jorge Amado oder Gabriel García Márquez sind da nur die bekanntesten Namen.

In unserem Schwerpunkt „Bücher für den Nachwuchs“ wollen wir einen Schatz heben und eine hierzulande bisher wenig untersuchte literarische Landschaft vorstellen. Ein großer Dank geht an dieser Stelle an Klaus Küpper und Johanna Klute, die nicht nur mehrere Beiträge zu der vorliegenden Nummer beigesteuert haben, sondern auch viele Anregungen und Bücher aus dem Bestand des einzigartigen „Archiv für übersetzte Literatur aus Lateinamerika und der Karibik“ (www.lateinamerikaarchiv.de) in Köln.