Die Militärdiktaturen der siebziger und achtziger Jahre haben in die Gewerkschaftsbewegung Lateinamerikas eine Schneise der Zerstörung getrieben. Aktive GewerkschafterInnen wurden verfolgt, inhaftiert, gefoltert und nicht wenige auch ermordet. Trotzdem arbeiteten vielerorts die verbotenen Gewerkschaften im Untergrund weiter und schafften es unter hohem persönlichen Risiko, Widerstandsaktionen zu organisieren. In einigen Ländern, wie etwa Bolivien und Brasilien, wurden die Gewerkschaften zur wichtigsten Kraft der Opposition gegen die Diktaturen und trugen maßgeblich zu deren Rückzug bei.
Mindestens genauso stark wie die Repression traf die gewerkschaftlich organisierten KollegInnen das Wirtschaftsmodell der Militärdiktaturen, die fast überall auf eine Öffnung der internen Märkte setzten und damit große Teile der nationalen Industrie zerstörten (Brasilien war eine gewichtige Ausnahme, hier trieb die Militärregierung die Industrialisierung voran). Die Deindustrialisierung in Ländern wie Argentinien, Chile oder Uruguay bedeutete das Ende vieler einst mächtiger Gewerkschaften, denen schlichtweg die Basis wegbrach. Nach dem Ende der Militärregierungen wurden zwar die Gewerkschaftsverbote aufgehoben, viele von den Diktaturen erlassene repressive Gesetze, etwa zur Einschränkung des Streikrechts, blieben jedoch in Kraft. Zudem verfolgten fast alle Zivilregierungen der neunziger Jahre eine mehr oder weniger neoliberale Politik. Sie privatisierten öffentliche Unternehmen und verkleinerten massiv den öffentlichen Dienst, in Lateinamerika immer eine Bastion der Gewerkschaftsbewegung. Um internationale Investitionen anzulocken, wurden Arbeitsschutzbestimmungen gelockert, Kündigungen erleichtert und Beschäftigungsverhältnisse dereguliert. In neu geschaffenen „Freien Produktionszonen“ wurde gewerkschaftliche Betätigung massiv eingeschränkt, wenn nicht ganz verboten. Die neuen Wirtschaftszweige sollten im internationalen Wettbewerb nach neoliberaler Logik ihre „komparativen Kostenvorteile“ nutzen, und die bestanden in Lateinamerika neben Naturressourcen vor allem in einem niedrigen Lohnniveau.
So entstanden neue Wirtschaftszweige wie etwa die Agrarexportbetriebe, wo Frischobst, Gemüse oder Garnelen für internationale Märkte produziert werden, oder die Maquilas, die exportorientierten Fertigungsbetriebe in Mexiko und Zentralamerika. In beiden sind Niedrigstlöhne und miese Arbeitsbedingungen Teile des Modells.
In den letzten Jahrzehnten verloren die Gewerkschaften in Lateinamerika in vielen Bereichen stark an Einfluss und konnten in den neuen Branchen nicht Fuß fassen. Dafür waren nicht nur die geschilderten objektiven Bedingungen verantwortlich, sondern auch die Strukturen der Organisationen. Der ihnen vorgeworfene Bürokratismus war nicht nur eine Erfindung ihrer neoliberalen GegnerInnen, sondern ein reales Phänomen. Wie überall auf der Welt waren (und sind) Lateinamerikas Gewerkschaften Männerbünde, auch wenn es bereits in den allerersten (anarchosyndikalistischen) Berufsverbänden Frauen gab. Die Beschäftigten in den neuen Wirtschaftszweigen wie dem Agrarexport oder den Maquilas sind aber ganz überwiegend Frauen – meist ohne politische Erfahrung. Es waren (und sind) nicht alleine der Druck der Firmenleitungen und die antigewerkschaftliche Repression, sondern auch die männlich geprägten hierarchischen Konzepte von gewerkschaftlicher Arbeit, die eine breitere Organisierung in diesen Bereichen erschwer(t)en.
Dennoch gab und gibt es in Lateinamerika ArbeiterInnenkämpfe. Teilweise vollziehen sich diese Kämpfe zwischen Gewerkschaften und Unternehmen bzw. öffentlichen Arbeitgebern, teilweise gibt es aber auch Kämpfe, die engagierte KollegInnen vor Ort ohne oder gegen die Gewerkschaften durchstehen. Manche dieser Kämpfe werden aus einer absoluten Defensive geführt und muten, was Beteiligung, Ergebnisse und öffentliche Aufmerksamkeit angeht, eher bescheiden an, andere entfalten eine ungeheure Dynamik und werden von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt. Für diesen Schwerpunkt zu ArbeiterInnen und Gewerkschaften haben wir uns vor allem auf die Suche nach konkreten Kämpfen gemacht, um deren Bedingungen und Schwierigkeiten in den Fokus zu rücken. Bei der Recherche hat sich immer wieder gezeigt, dass die Repression gegen GewerkschafterInnen und kämpferische ArbeiterInnen keinesfalls mit dem Abtritt der Militärdiktaturen zu Ende ist. Wenn heute organisierte KollegInnen ihre Rechte einfordern und dafür kämpfen, werden sie in den meisten Ländern kriminalisiert und müssen in einigen Staaten, wie etwa Kolumbien oder Honduras, sogar um ihr Leben fürchten!