Seit über 20 Jahren stellen wir in der Juli / August-Ausgabe jeweils eine lateinamerikanische Metropole vor. Diesmal geht es in der sommerlichen „Städteausgabe“ nicht um eine einzelne Stadt, sondern um mehrere, konkret um Hafenstädte. Viele Metropolen Lateinamerikas sind durch ihre Häfen geprägt und werden auch darüber definiert. Die BewohnerInnen von Buenos Aires und Valparaíso werden im übrigen Argentinien und Chile schlichtweg als Porteños bezeichnet, als Hafenleute.
Die spanischen und portugiesischen Kolonialisten legten ihre ersten Siedlungen und Städte auf dem amerikanischen Kontinent dort an, wo sie natürliche Häfen vorfanden. Von diesen aus brachten sie die Bodenschätze und Agrarprodukte Lateinamerikas nach Europa und später auch nach Nordamerika, während von dort vor allem verarbeitete Waren und Produkte geliefert wurden. Längst aber kommen die Waren nicht mehr nur aus Europa und Nordamerika, sondern mehrheitlich aus China, Japan, Südkorea, Indonesien, Indien – und aus lateinamerikanischen Ländern. Die Weltwirtschaft verändert sich. Von Hafenstädten zu berichten, bedeutet deshalb auch, von Kolonialismus und Globalisierung zu erzählen.
Aus den Häfen wurden nicht nur Produkte verschifft, dort gingen auch Menschen von Bord der Schiffe. Zunächst die Spanier und Portugiesen, die als Beamte und Soldaten in die Kolonien entsandt wurden. Damit die Adligen und Offiziere keine Ehen mit indigenen Frauen schlossen, wurden in ihrem Schlepptau auch spanische und portugiesische Frauen in die Kolonien geschickt. Es folgten Priester und Ordensleute, die ihre Religion teils friedlich, meistens aber mit Feuer und Schwert in Lateinamerika durchsetzten. Dann kamen die AfrikanerInnen an, die man aus ihren Heimatländern verschleppt hatte und die auf den Agrargütern der spanischen, portugiesischen, britischen, französischen und niederländischen Grundbesitzer als SklavInnen Zwangsarbeit leisten mussten. Im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert trafen in mehreren Wellen ArbeitsmigrantInnen aus Europa und dem arabischen Raum ein, die in der „Neuen Welt“ auf ein besseres Leben hofften. Schließlich erreichten im 20. Jahrhundert viele Menschen Lateinamerikas Häfen, die in Nazideutschland und den von diesem besetzten Ländern verfolgt und gejagt wurden. Von Hafenstädten zu berichten, bedeutet deshalb auch, von Migration zu erzählen.
Hafenstädte hatten und haben eine besondere Atmosphäre. Sie sind seit jeher internationaler, multikultureller und offener als andere Städte. Doch gibt es auch hier Veränderungsprozesse. Die Anwesenheit von Seeleuten aus aller Welt, über Jahrhunderte ein Kennzeichen der Hafenstädte, ist heute immer weniger wahrnehmbar. Die großen Containerschiffe liegen häufig nur noch wenige Stunden in einem Hafen. Dann ist ihre Ladung gelöscht und die Fahrt wird fortgesetzt. Die Seeleute gehen oft gar nicht mehr von Bord, auch nicht zum Besuch der „Vergnügungsviertel“. Prostituierte werden bereits vor Anlaufen der Häfen „gebucht“ und kommen zu den vereinbarten Terminen auf die Schiffe.
Auch die Besitz- und Arbeitsverhältnisse in den Häfen verändern sich. Waren die Häfen früher staatliches Hoheitsgebiet und wurden von entsprechenden Behörden verwaltet, sind viele Häfen heute privatisiert. Das führt nicht selten zu einer Verschiebung der Kosten zu Lasten der Staatskassen und damit einer Anhäufung öffentlicher Schulden. Die Containertechnologie hat außerdem zu einem Abbau von Arbeitsplätzen geführt, und viele Jobs, die einst typisch für Häfen und Hafenstädte waren, werden bald der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig gibt es in den Häfen den Versuch, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und die Beschäftigungsverhältnisse zu prekarisieren. Dagegen regt sich Widerstand, auf den die Betreiberfirmen und Behörden oft mit Repression reagieren. Die trifft nicht nur die kämpferischen KollegInnen in den Häfen, sondern auch AnwohnerInnen, die sich gegen die Vertreibung aus ihren Wohnquartieren wehren, weil die Häfen erweitert oder die Hafenviertel zu schicken Wohngegenden für Wohlsituierte umgestaltet werden.
So erzählen wir im vorliegenden Schwerpunkt ganz unterschiedliche Geschichten über Städte und Häfen, ihre Historie und ihre BewohnerInnen.
Mit dieser ila geht die Redaktion in die wohlverdiente Sommerpause. Die nächste Ausgabe erscheint dann Mitte September.