Glycine max ist ein Kraftpaket und kommt aus China: Seit Tausenden von Jahren wird diese Pflanze, von NichtwissenschaftlerInnen „Soja“ genannt, in Ostasien angebaut und ist dort eine der wichtigsten Nahrungsmittelpflanzen. Schließlich enthalten die Bohnen des Schmetterlingsblütlers 20 Prozent Öl und 37 Prozent Eiweiß – eine fantastische Nahrungsquelle! Im späten 20. Jahrhundert schickte sich die Wunderbohne an, die Welt zu erobern und das weltweite Agrar- und Futtermittelmodell umzukrempeln. Allerdings war es nicht irgendeine Sojavarietät, sondern eine speziell präparierte Sorte, die für weitreichende Veränderungen sorgen sollte. Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass die argentinische Landwirtschaftsbehörde zum ersten Mal eine genetisch manipulierte Sorte zur kommerziellen Nutzung frei gab: die von Monsanto entwickelte Sojasorte, die resistent gegen das Herbizid Glyphosat ist. Seitdem breitet sich diese gentechnisch veränderte (GV) Soja rasant in der Landwirtschaft des Cono Sur aus, stets zusammen mit dem ganzen Technologiepaket: GV-Saatgut, das dazugehörige Herbizid Roundup Ready, die Anbaumethode der Direktsaat. Seitdem ist die Pflanze Glycine max unmittelbar mit dem Gift Glyphosat verbunden.
Im Frühsommer 2016 herrschte hierzulande eine breite Debatte über das Herbizid Glyphosat, vor dem Hintergrund des Wiederzulassungsverfahrens in der EU. Das weltweit meist verkaufte Pflanzenschutzmittel gilt als „wahrscheinlich krebserregend“. Während in Europa maximal zwei Kilogramm pro Hektar ausgebracht werden dürfen, werden in den „Sojarepubliken“ Argentinien, Brasilien und Paraguay zehn bis zwölf Kilogramm pro Hektar mit dem Flugzeug versprüht. In Brasilien, Nummer Zwei der weltweiten Sojaproduktion, sind es jährlich mehr als eine Milliarde Liter Agrargifte, durchschnittlich etwa 5,2 Liter Gift pro Kopf!
Die potente Sojawunderbohne ist innerhalb von zwei Jahrzehnten zum Sinnbild für so vieles geworden, was in unserer neoliberal globalisierten Welt schief läuft: Landgrabbing und Vertreibung, Vergiftung von Mensch und Natur, konzentrierte Konzernmacht über das Saatgut, Entwaldung und Überschwemmungen, Agrarlobbyismus, der es sogar schafft, gewählte Präsidenten aus dem Amt zu putschen, wie es etwa in Paraguay 2012 mit Fernando Lugo geschah.
„Gen over?“ So stand es im Sommer 2016 auf Werbeplakaten in Deutschland. Die Milch-Eigenmarke von Lidl ist seit Mitte Juli gentechnikfrei, sie stammt also von Kühen, die nicht mit GV-Sojaschrot aus Südamerika gefüttert wurden. Der Lebensmittelhandel folgt somit dem Wunsch der deutschen VerbraucherInnen, die vergleichsweise kritisch gegenüber Gentechnik eingestellt sind. Ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Mittlerweile zeigen Berechnungen auf, wie GV-Sojafuttermittel ersetzt werden könnte, etwa durch heimische Leguminosen oder auch durch gentechnikfreie Soja. Natürlich sperren sich Akteure wie die Futtermittelwirtschaft oder der Deutsche Bauernverband gegen solche Ansätze, die der zollfreien und günstigen Einfuhr von Sojaschrot aus Südamerika entgegenstehen, was ihre Produktionskosten erhöhen und somit Umsatz und Exporte schmälern würde. Das klassische Argument gegen den heimischen Anbau von Futtermitteln lautet: Wir haben eine globale Arbeitsteilung. In Europa bauen wir Energie an, in Form von Roggen, Weizen und Gerste und in Nord- und Südamerika werden die Proteine angebaut, in Form von Soja. Dadurch sind die Fruchtfolgen immer enger geworden. Diese Arbeitsteilung beruft sich auf die sogenannten komparativen Kostenvorteile: Die Bauern im Süden können zollfrei Soja in die EU einführen; die Bauern in Europa wiederum sind vor Getreideimporten aus Übersee geschützt worden. Letztlich ist es jedoch eine Milchmädchenrechnung, denn Landwirtschaft ist eben nicht Maschinenbau, bei dem Teile zusammengekauft werden, wo es gerade am billigsten ist. Landwirtschaft hat eine starke lokale Komponente und lebt von der Vielfalt.
Und Glycine max, die Jahrtausende alte Kulturpflanze, kann Bestandteil einer solchen Vielfalt sein – allerdings nicht auf die Art und Weise des aktuell herrschenden Agrarmodells.