Wie Menschen im Alter leben können oder wollen, wie ihre ökonomische Situation ist oder sein wird und welche Möglichkeiten es gibt, wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, sind hierzulande schon lange Themen, sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in vielen privaten Gesprächen. Dabei fallen dann immer wieder Begriffe wie Altersarmut oder Pflegenotstand, die zeigen, dass es in diesem Feld viele Probleme gibt. Wenn PolitikerInnen in diese Debatte eingreifen, wird stets der demographische Wandel beschworen und dieser als Grund dafür angeführt, dass die sozialen Sicherungssysteme umgebaut, sprich privatisiert werden müssten. Auch wenn letzteres inhaltlicher Nonsens ist und einzig die Interessen der großen Banken und Versicherungen bedient, bleibt die gesellschaftliche Herausforderung, dass unsere Gesellschaft älter wird. Dies hat Konsequenzen und verändert unser Zusammenleben.
Doch der demographische Wandel ist längst nicht mehr nur ein Phänomen der Industrieländer. Das lange Zeit gezeichnete Bild alternder Gesellschaften im Norden und junger Gesellschaften im Süden stimmt immer weniger. Auch in Lateinamerika werden die Menschen zunehmend älter, während die Geburtenrate sinkt. Drei Länder (Chile, Costa Rica, Cuba) haben bereits eine ebenso hohe oder sogar höhere Lebenserwartung als die USA. Die Gesellschaften Lateinamerikas altern zudem schneller als die der Industriestaaten, wo das durchschnittlich erreichte Lebensalter über einen relativ langen Zeitraum langsam anstieg. Zwar wird auch im Norden die Generation der heutigen Alten im Durchschnitt älter als ihre Eltern, aber in Lateinamerika ist diese Differenz deutlich größer.
Die Fragen, wie alte Menschen ökonomisch abgesichert und wie sie unterstützt werden, wenn sie Hilfe und Pflege benötigen, stellen sich in Lateinamerika entsprechend dringlicher. Noch vor ein, zwei Jahrzehnten hätte die überwältigende Mehrheit der LateinamerikanerInnen behauptet, die alten Menschen versorgten sich selbst oder würden in und von den Familien betreut, was natürlich immer hieß: von den weiblichen Familienmitgliedern. Dies gilt auch heute noch im größeren Maßstab als etwa hierzulande. Wobei eventuell notwendige Pflege in Lateinamerika nur in den Unterschichten allein von den weiblichen Familienangehörigen geleistet wird. Von der unteren Mittelschicht an aufwärts übernahmen schlecht bezahlte Hausangestellte seit jeher einen beträchtlichen Teil der reproduktiven Aufgaben, sowohl in der Betreuung und Pflege der Kleinkinder als auch der alten Menschen.
Aber inzwischen ist es so, dass sich auch in Lateinamerika familiäre Bindungen lockern oder sogar auflösen. Vor allem der Mangel an Arbeitsplätzen führt dazu, dass die lateinamerikanischen Menschen immer mobiler werden. Gab es schon lange eine Bewegung der Arbeitssuchenden vom Land in die Städte, sind diese Migrationsströme inzwischen international unterwegs – und das keineswegs nur in Richtung USA oder Spanien, sondern vielmehr innerhalb Lateinamerikas. So kann man dann in bolivianischen Dörfern oder Kleinstädten alleinlebende alte Menschen finden, die erzählen, dass zwei ihrer sechs Kinder in den bolivianischen Städten La Paz und Santa Cruz leben, zwei weitere in Argentinien und Chile und die anderen beiden in den USA und Spanien. Mitunter betreuen die Großmütter zu Hause die Enkel der auswärts lebenden Kinder. Die helfen häufig den alten Eltern in Bolivien finanziell, aber im Alltag können sie ihnen nicht zur Seite stehen.
Wenn die Alten dann selbst Hilfe brauchen und keine Tochter (von Männern wird Hilfe bei der Betreuung der Alten in der Regel nicht erwartet) mehr vor Ort ist, unterstützen sie häufig Verwandte, manchmal auch Nachbarinnen. Aber das geht nicht immer und umso weniger, je urbanisierter die Länder und je größer die Städte sind, in denen die alten Menschen leben. Fakt ist, dass auch in Lateinamerika zunehmend alte Menschen auf staatliche Unterstützung oder Hilfen privater Träger (kirchliche Einrichtungen, Krankenkassen oder Nichtregierungsorganisationen) angewiesen sind – und ihre ökonomische Situation häufig prekär ist.
In der vorliegenden ila beschäftigen wir uns mit den unterschiedlichen Facetten des Alters in Lateinamerika, ein Thema, das bisher im deutschsprachigen Raum kaum behandelt wurde. Bei der Arbeit an dem Schwerpunkt haben wir selbst viel gelernt. Vor allem ist uns klar geworden, dass die hier aufgeworfenen Fragen in Zukunft an Bedeutung und Relevanz gewinnen. Wir danken allen, die uns bei der Erstellung der Ausgabe unterstützt haben.
Außerhalb der Beiträge des Schwerpunkts beschäftigen sich einige weitere Artikel dieser Ausgabe mit einem alten Mann. Der lebt jedoch nicht in Lateinamerika, sondern in einem geräumigen Haus in Washington und nebenbei noch in einem Tower, der seinen Namen trägt. Es geht um den neuen US-Präsidenten und wir analysieren, wofür er steht und was seine Regierung für Lateinamerika, konkret Mexiko, bedeuten könnte.