Für südamerikanische Verhältnisse ist es ein Zwerg: 16 Millionen Einwohner*innen und eine Fläche von 283 561 Quadratkilometern (etwa vier Fünftel von Deutschland) hat das Andenland Ecuador vorzuweisen. Mit seiner landschaftlichen Vielfalt ist es allerdings schon immer ein touristischer Sehnsuchtsort gewesen. Und vor nur wenigen Jahren sorgten die unerhört neuen politischen Konzepte aus Ecuador allerorten für Aufmerksamkeit und Euphorie: Das Konzept vom „Guten Leben“ – Buen Vivir oder Sumak Kawsay –, das eine Alternative zum westlichen Entwicklungskonzept anstrebt, wurde breit diskutiert. Auch der Vorschlag, das Erdöl im Boden zu lassen und für die entgangenen Erlöse potentielle Abnahmeländer in einen Fonds einzahlen zu lassen, inspirierte Klimaaktivist*innen weltweit. Und die Regierung von Rafael Correa (2006 bis 2017), die das „Gute Leben“ zur Verfassungsgrundlage erhoben und die „Bürgerrevolution“ ausgerufen hatte, wurde hoch gelobt.
Heute verschwindet das „Gute Leben“ zunehmend aus den Debatten, auch in Ecuador. Immer stärker ist die linke Regierung, die nach Meinung von Aktivist*innen und Intellektuellen nicht mehr als solche bezeichnet werden sollte, in die Kritik geraten: für eine Wirtschaftspolitik, die auf Rohstoffexporten basiert, und für die Kriminalisierung von Protest, der sich dagegen richtet. Correas „Bürgerrevolution“ wurde zwar bei den letzten Präsidentschaftswahlen im April 2017 nicht abgewählt: Mit Lenín Moreno konnte sich die Regierungspartei Alianza PAIS (Patria Altiva i Soberana – „Aufrechtes und Souveränes Vaterland“) an der Macht halten. Doch der aktuelle Regierungschef distanziert sich zunehmend von seinem Vorgänger, der so charismatisch wie autoritär war. Und mittlerweile sieht die Bilanz von zehn Jahren Correa-Regierung gar nicht mehr so glänzend aus. Das Land ächzt unter einem Schuldenberg, die drastisch gesunkenen Einnahmen für Erdöl und andere Rohstoffe machen auch Ecuador zu schaffen. Doch das extraktivistische Modell, das auf Mega-Bergbau, die Erschließung neuer Erdölquellen und nun auch auf gentechnisch modifizierte Agrarpflanzen setzt, wird allem Anschein nach auch von Moreno nicht angetastet. Seit Mitte August gibt es entsprechend einen neuen Konfliktherd. Die Regierung hat das Militär in den Süden Ecuadors, nach Río Blanco geschickt, wo die Bevölkerung die Nase voll hat von leeren Versprechungen und der Wasserverschmutzung, für die das chinesische Bergbaukonsortium Junefield Mineral Resources verantwortlich ist.
Und innerhalb der Regierungspartei Alianza País tobt ein Machtkampf; Ende August sind einige führende Köpfe aus dem Correa-Lager zurückgetreten, darunter der ehemalige Außenminister Ricardo Patiño, der somit nur kurze Zeit Berater von Präsident Moreno war. Ermittlungen gegen den Vizepräsidenten Jorge Glas im Zuge des lateinamerikaweiten Odebrecht-Korruptionsskandals sorgen für weiteren Zündstoff. Ex-Präsident Correa befeuert den Machtkampf eifrig mit Hilfe der sozialen Medien, unablässig schießt er Twitter-Meldungen raus, und seit dem 12. August postet er, nun von Belgien aus, auf Facebook die Nachfolge seiner ehemaligen samstäglichen Präsidentenshow, der „Sabatina“: die Online-Sendung „Enlace Digital“. Darin erzählt „der ewige Präsident“ im Plauderton, dass er sich für eine Zeit lang aus der Politik hatte zurückziehen wollen. Er sei davon ausgegangen, dass das Land in sicheren Händen sei. Doch diese Hoffnung habe ihn getrogen: Von den bisherigen politischen Äußerungen seines Nachfolgers sei er zutiefst enttäuscht.
Aber auch Correa hat in den letzten Jahren viele Leute enttäuscht, vor allem die sozialen Bewegungen, die anfangs noch hinter ihm standen. Und so gibt es neben einer rechten, reaktionär-neoliberalen parteipolitischen Opposition auch dissidente Strömungen und Bewegungen, die sich von links gegen autoritäre Regierungspolitik sowie eine als erdrückend katholisch und konservativ empfundene Gesellschaft engagieren, und längst nicht nur in Quito. In ganz Ecuador sind alternative Basismedien aktiv, erholen sich Gewerkschaften und soziale Bewegungen langsam aus der Krise, bilden sich neue Gruppen mit libertären Strukturen. Und in der Hafenstadt Guayaquil erkämpft sich eine kritische queere Kunstszene ihren Raum. Wo so viel in Lateinamerika den Bach runtergeht, ist das doch immerhin etwas.