Die meisten Ideen für ila-Schwerpunkte kommen aus der ila-Redaktion, manche entstehen aber auch aus Vorschlägen von Leser*innen. Politiker*innen flüstern uns normalerweise nicht ein, welche Themen wir aufgreifen sollen. Bei der vorliegenden Ausgabe ist das anders. Diesmal hat uns ein US-Präsident angeregt, mehr noch: uns mit seinen dauernden Tweets regelrecht dazu genötigt, uns mit der lateinamerikanischen Migration auseinanderzusetzen. Nicht, dass die Materie für uns neu wäre, wir berichten regelmäßig darüber, hatten uns auch schon in einigen Schwerpunkten damit beschäftigt. Im November 1994 ging es in der ila 180 unter dem Titel „Endstation Hoffnung“ um die Migration aus der Karibik in die USA und nach Europa; in der ila 250 (November 2001) haben wir die prekäre Lebenssituation von Migrant*innen ohne Papiere beleuchtet; die Migration in und aus Lateinamerika stand im Fokus der ila 283 (März 2005) mit dem Schwerpunkt „Grenzerfahrungen“, und – aus heutiger Sicht durchaus prophetisch – hatten wir vor ziemlich genau zehn Jahren in der ila 306 (Juni 2007) den Titel „Mauer – Migration – Klassenkampf“ mit vielen Beiträgen zur Grenze zwischen den USA und Mexiko, der Selbstorganisation von Migrant*innen und den schon damals lebensgefährlichen Transitrouten für zentralamerikanische Flüchtlinge.
Trotz seiner vollmundigen Rhetorik schlägt Donald Trump keineswegs ein neues Kapitel in der US-amerikanischen Einwanderungspolitik auf. Auf immer besser gesicherte Grenzen, Repression und Abschiebungen haben auch seine demokratischen wie republikanischen Vorgänger gesetzt. In Trumps Amtszeit wurden bisher sogar etwas weniger Migrant*innen ohne Papiere deportiert als im letzten Regierungsjahr des smarten Barack Obama, unter dessen Regierung mehr Menschen aus den Vereinigten Staaten abgeschoben wurden als je zuvor in der Geschichte.
Und dennoch ist etwas neu in der Ära Trump. Wie viele Migrant*innen in die USA kommen, wie die Zuwanderung begrenzt werden kann und wie viele Eingewanderte am Ende deportiert werden, ist für Trump letztlich zweitrangig. Anders als seine Vorgänger interessiert ihn an der Frage der Migration vor allem das innenpolitische Mobilisierungspotential. Da trifft er sich mit seinen rechten Kamerad*innen in der AfD, der französischen FN, der Schweizer SVP, der österreichischen FPÖ (und neuerdings auch ÖVP), der ungarischen Fidesz, der britischen UKIP und wie die entsprechenden Gruppierungen sonst noch heißen.
Ein Kennzeichen der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte war der Abbau der Sozialsysteme. Das erzeugt Verunsicherung und Ängste. Was wird aus der Familie, wenn ein*e Verdiener*in arbeitslos oder erwerbsunfähig wird? Können wir im Alter mit unseren Renten unseren Lebensstandard sichern? Werde ich in der immer spürbarer werdenden Zwei-Klassen-Medizin angemessen versorgt werden, wenn ich krank werde? Auf diese Fragen und Ängste geben die konservativen, liberalen und auch sozialdemokratischen Politiker*innen keine Antworten oder empfehlen zynisch mehr „private Vorsorge“, die für die meisten Gering- oder Normalverdiener*innen kaum finanzierbar, aber für Banken und Versicherungskonzerne ein lukratives Geschäft ist. Dann treten die Trumps & Co. auf den Plan und suggerieren, dass sie die „Sorgen der Bürger*innen“ ernst nehmen. Sie benennen auch gleich den Grund des Übels: die Migrant*innen und damit die „Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Deshalb müssten ständig Leistungen eingeschränkt werden. Damit treffen sie soziale Ängste, appellieren an den latent vorhandenen Rassismus und rufen zudem verfestigte Stereotype wie das des kriminellen Ausländers ab.
Rassismus und Hass auf Flüchtlinge werden so zur Klammer, die reaktionäre Bürger*innen, wütende Kleinbürger*innen und ängstliche Arbeiter*innen vereint und sie für Politiker*innen und Parteien mobilisiert, die mit sozialer Gerechtigkeit und aktiver Sozialpolitik nichts im Sinn haben. Sowohl Trump als auch die AfD oder die FPÖ stehen für eine radikalliberale Wirtschaftspolitik, die mehr soziale Ungleichheit produzieren wird. Sie sehen es als „Recht“ von Unternehmen aus ihren Ländern an, überall auf der Welt ohne Einschränkungen zu agieren, Geschäfte zu machen, Land zu erwerben, Waffen zu verkaufen und Rohstoffe ausbeuten zu können. Wenn das zu Umweltschäden, Zerstörung wirtschaftlicher Strukturen und Lebensgrundlagen oder Vertreibungen führt, ist das halt so. Wenn aber die Menschen in der Folge weggehen und anderswo Sicherheit und bessere Lebensbedingungen suchen, dann sollen sie gestoppt werden. Diesen Zynismus gilt es aufzudecken! Flüchtlinge haben alles Recht, bessere Plätze zum Leben zu suchen. Ihre Selbstorganisation und ihre Kämpfe für sichere Perspektiven gilt es zu unterstützen. Gestoppt werden müssen jene, die Tag für Tag Fluchtursachen produzieren, ebenso wie jene, die den Hass auf Migrant*innen mobilisieren, um daraus politisches Kapital zu schlagen.