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Was ist eigentlich „frei“ am Freihandel? So wie der Welthandel heutzutage funktioniert und organisiert ist, produziert er Armut, sowohl im Norden wie im Süden. Vor allem dient der Freihandel dazu, Konzerne von Auflagen und Pflichten zu befreien. Dank der starken Proteste und Bündnisse gegen TTIP und CETA in den letzten Jahren ist einer breiten Mehrheit bewusst geworden, wie sehr Freihandel unser Leben und unseren Alltag bestimmt – nicht weil wir alle irgendwann Chlorhühnchen essen müssen, sondern wegen ganz grundlegender Fragen der Daseinsvorsorge, die den Konzerninteressen untergeordnet werden. In Lateinamerika ist das Thema „Freihandelsabkommen“ schon seit gut 20 Jahren ein Dauerbrenner. Immer wieder kommt es zu mächtigen Gegenbewegungen, weil zum Beispiel landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr gegen Lebensmittelimporte aus dem Norden bestehen können und somit die lokale Landwirtschaft zerstört wird. Spätestens seitdem Donald Trump in den USA verkündet hat, in Sachen Freihandel alles anders machen zu wollen, ist weltweit einiges in Bewegung geraten.

Im April dieses Jahres kam es zu einem überraschenden Eingeständnis: Weltbank, IWF und Welthandelsorganisation (WTO) räumten ein, dass der Welthandel auch Armut und Arbeitslosigkeit hervorruft. „Der Handel hat einige Beschäftigungsgruppen und Gemeinschaften negativ beeinflusst“, heißt es auf der ersten Seite der Studie „Making Trade an Engine of Growth for all“ – „Wie der Handel zur Wachstumsmaschine für alle wird“. In der Studie dieser drei Organisationen wird freilich am Paradigma des Freihandels festgehalten, aber Probleme und negative Folgen werden in erstaunlicher Offenheit genannt. Diese Studie ist als Antwort der G20 auf die weltweit gewachsenen Proteste gegen Freihandelsabkommen gedacht gewesen. Das zentrale Argument für den weiteren Ausbau des Freihandels ist alt und lautet: mehr Wohlstand durch mehr Handel, weil dadurch mehr Wachstum und niedrigere Preise möglich sind. Allerdings gestehen Freihandelsverfechter*innen auch ein, dass mit Hilfe von Freihandelsabkommen meist nur noch geringe Wachstumsraten erzielt werden können.

Aber warum gehen aktuell allerorten Neuverhandlungen mit großem Tempo weiter? Die EU strebt gerade mit Mexiko eine „Modernisierung“ des bestehenden Abkommens an. Es soll sogar schon Ende 2017 unter Dach und Fach sein. Mit Ecuador wurde Ende letzten Jahres ein Abkommen unterzeichnet und auch mit Chile oder dem Mercosur stehen Neuverhandlungen an. Und trotz Donald Trumps vordergründiger Anti-Freihandelsrhetorik finden zurzeit Neuverhandlungen des NAFTA-Abkommens statt.

Welche Interessen stecken dahinter? Wer profitiert davon? Und was haben Arbeitnehmer*innen zu befürchten? Was ist neu? Sind die umstrittenen Schiedsgerichte und ihre zutiefst undemokratischen Verfahren ad acta gelegt oder nur aus den Abkommen ausgelagert worden, um die Proteste zu besänftigen? Und warum finden die Verhandlungen so klandestin und absolut intransparent statt, sodass sich noch nicht einmal Politiker*innen und Journalist*innen, geschweige denn eine interessierte Öffentlichkeit informieren können? Schließlich geht es um so wichtige Themen wie Gesundheit, Arbeitsrechte, Umweltschutz, Industrieförderung, Energie, Entsorgungsleistungen, Zugang zu Dienstleistungen der Grundversorgung, Kultur und Bildung – denn in all diesen Bereichen sollen die einzelnen Staaten in ihrem Handlungsspielraum beschnitten werden, indem staatliche Maßnahmen ausgehebelt werden, und zwar versteckt hinter Formulierungen wie „Angleichung der Spielregeln“ oder „gegen die Verzerrung des Welthandels“.

Mit dieser ila zum Thema „Freihandel“ wollen wir einen Überblick über diese Debatten und die verschiedenen zurzeit (neu) verhandelten Abkommen schaffen. Vor allem wollen wir zeigen, wer vom Freihandel profitiert und wer eben nicht.

Noch mal zum Hühnchen: Es ist das globalisierte Produkt par excellence. Die Gesetze des Welthandels lassen sich vortrefflich am Federvieh studieren. Die besten Stücke bleiben im Norden, Innereien, Hälse und Bürzel überschwemmen westafrikanische und karibische Märkte, da der Export tiefgefrorener Hühnerteile billiger als deren Entsorgung ist. Mit fatalen Folgen für Gesundheit, Arbeitsplätze und Märkte in den Zielländern. Aus diesem Grund illustrieren verschiedene Hühnchen-Motive die Artikel unseres aktuellen Schwerpunkts.