El Salvador ist das kleinste Land Mittelamerikas. Es liegt entlang des pazifischen Feuerrings und besteht überwiegend aus – teilweise aktiven – Vulkanen. Der Däumling Zentralamerikas, wie der Schriftsteller Roque Dalton sein Heimatland wegen seiner geringen Größe einst nannte, wird nicht nur von periodisch auftretenden Erdbeben erschüttert. In den letzten Jahrzehnten sind auch häufig klimatische Extremsituationen wie Dürren, Hurrikane und Starkregen aufgetreten und haben Land und Leute gebeutelt. Doch die meisten Probleme in El Salvador sind menschengemacht: an erster Stelle die hohe Mordrate, eine der höchsten weltweit, sowie die extreme Ungleichheit zwischen den wenigen Menschen, die in einem schier unendlichen Reichtum leben, und den vielen, die in einer kaum entrinnbaren Armut gefangen sind.
Die aus der ehemaligen Guerilla hervorgegangene Partei FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) ist inzwischen zwar mit einem gemäßigt linken Programm an der Regierung, aber hat sie die Macht? Die liegt seit der Staatsgründung in den Händen der oligarchischen Oberschicht, die die Geschäfte und Geschicke im Land leitet. Heute nicht mehr primär auf der Grundlage von Agrarexporten, sondern mit Bankgeschäften, als Teil von großen Unternehmensgruppen, denen im Land und vom Land mehr gehört, als alle anderen zusammen haben. Die Vertreter*innen dieser Oligarchie oder die Partei, die deren Interessen vertritt, die ultrarechte ARENA, hat nun Anfang März bei den Parlaments- und Gemeindewahlen (an der noch nicht einmal die Hälfte der registrierten Wähler*innen teilnahm) wieder die Mehrheit gewonnen. Und nächstes Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an. Wenn der Trend anhält, sind das keine guten Aussichten: noch weniger soziale Sicherheit, noch mehr Deregulierung, (neue) Freihandelsverträge und eine Intensivierung der Ausbeutung der Ressourcen sind zu befürchten.
Manchmal drängt sich die Frage auf, wie viel Gewalt in dieses kleine Land überhaupt noch reinpasst. Am 24. März jährte sich zum 38. Mal die Ermordung des Erzbischofs Oscar Arnulfo Romero durch rechte Todesschwadronen, die gemeinhin als Beginn des zwölf Jahre andauernden Bürgerkriegs gesehen wird. Heute wird Gewalt meist mit den Maras, den mafiösen Banden (mit überwiegend jugendlichen Mitgliedern), verbunden. Diese sind im ganzen Land präsent und zunehmend mit politischen Parteien verbandelt, allen voran mit ARENA. Die Leute in El Salvador leben in ständiger Angst, und das ist keine Paranoia, sondern leider nur zu oft der bitteren Realität geschuldet: Schutzgelderpressung, Mord, Verschwindenlassen oder Vertreibungen sind die Mittel dieser Banden. Gleichzeitig werden die Maras in den USA als Rechtfertigung dafür genutzt, um Migrant*innen ohne Papiere abzuschieben. Bereits unter Präsident Obama wurden viele Salvadorianer*innen abgeschoben, doch seit Trumps Amtsantritt müssen auch diejenigen, die bisher einen temporär gesicherten Aufenthaltsstatus hatten (aufgrund von Naturkatastrophen oder wegen Einwanderung als Minderjährige), mit baldiger Abschiebung rechnen.
Die Bevölkerung in El Salvador ist sehr jung, über 60 Prozent sind unter 30 Jahre alt. Gerade diese jungen Menschen sind es, die die Mordstatistik anführen, die Gefängnisse füllen, keine Arbeit finden – mit oder ohne Abitur und Studium –, immer ärmer werden und folglich auswandern oder perspektivlos verharren. Die Stigmatisierung der jungen Generation von Seiten der Politik und der Medien spielt vor allem den Maras und den rechten Parteien in die Hände. Und doch: Die Bevölkerung des kleinsten Landes Mittelamerikas hat nicht nur während des Bürgerkrieges gezeigt, wie es sich in der Hoffnung auf Veränderung organisieren kann. Für diesen ila-Schwerpunkt haben mehrere junge Menschen aus El Salvador Zeit und Lust dazu gefunden, ihre Gedanken zu El Salvador literarisch umzusetzen. Sie sind alle gebildet und ringen mit den Bedingungen in ihrem Land. Ihre Geschichten spiegeln diese Wirklichkeit wider und sind Parabeln, die – mit einem Fünkchen Hoffnung versehen – von dem Versuch zeugen, das Leben in El Salvador zu meistern oder einfach nur zu überleben.