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Buenos Aires

Die letzte ila vor der Sommerpause ist traditionell seit nunmehr 24 Jahren jeweils urbanen Räumen vorbehalten. Entweder stellen wir eine lateinamerikanische Metropole vor oder wir diskutieren ein Thema länderübergreifend, etwa im vergangenen Jahr die Gentrifizierung. Diesmal widmen wir uns, wie schon in unserer ersten „Städteausgabe“ 1994, der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Jeder ila-Schwerpunkt ist ein work in progress. Die Arbeitsgruppen zu den jeweiligen Ausgaben sammeln zunächst Themen und Aspekte, die wir gerne in dem Heft bearbeiten würden. Dann schauen wir, was sich davon realisieren lässt. Die Kommunikation und Diskussion mit unseren Autor*innen verschieben häufig unsere ursprünglichen Prioritäten, weil unsere kompetenten Kontaktpersonen einen differenzierteren Blick auf das jeweilige Thema eröffnen und uns darauf hinweisen, welche Aspekte sie dabei für besonders relevant halten. Als wir diesmal den Schwerpunkt zu konkretisieren begannen, schälte sich heraus, dass viele der angefragten Autor*innen einen Fokus auf das Verhältnis des Zentrums der gut drei Millionen Einwohner*innen zählenden Stadt zu den peripheren Barrios, sowohl im innerstädtischen Bereich als auch im Conurbano, dem überwiegend in der Provinz Buenos Aires gelegenen Vorstadtgürtel, in dem rund zehn Millionen Menschen leben, legen wollten.

Offensichtlich ist dies heute ein zentrales Thema in der argentinischen Metropole. Wobei sich die Frage stellt: für wen? Die Kommunalregierung der Stadt Buenos Aires sieht sich vor allem den bürgerlichen Schichten der Capital Federal verpflichtet. Die ärmeren Barrios, die Villas und vor allem deren Bewohner*innen stören da nur, sie werden für die Probleme wie Kriminalität oder Drogen verantwortlich gemacht. Und wenn die Polizei in den Vorstädten mit äußerster Brutalität gegen (vermeintliche) Straftäter*innen vorgeht, wird das nicht etwa geahndet, sondern gelobt, sowohl von den lokalen Politiker*innen als auch von der Mehrheit ihrer mittelstädtischen Wählerschaft. Und sogar vom Präsidenten.

Die Tourismus- und PR-Agenturen, die das von den Stadtoberen gewünschte Bild der Metropole zeichnen, zeigen ein modernes, sauberes und sicheres Buenos Aires. Natürlich erscheinen einige rausgeputzte Inseln des „anderen“ Buenos Aires in den Hochglanzprospekten, so die alten Straßen San Telmos und/oder die schön hergerichteten pittoresken Häuser in La Boca. Aber alles, was nicht touristisch in Wert gesetzt ist oder werden kann, fehlt.

Dabei ist das meiste, was Buenos Aires ausmacht, in den Barrios gewachsen. Der Tango ist dafür das beste Beispiel. Er wird heute als ein Markenzeichen der argentinischen Hauptstadt international vermarktet, und der Besuch einer professionellen „Tango-Show“ gehört zwingend ins Programm aller Reiseveranstalter. Derweil werden die Orte, wo die Leute aus den Vierteln Tango tanzen und sich vergnügen wollen, durch immer neue Auflagen drangsaliert und nicht selten geschlossen.

Auch in der Literatur haben die Vorstädte zunehmend Konjunktur, auch wenn die meisten argentinischen Leser*innen dieser Bücher lieber keinen Fuß in die Villas der Stadt und des Conurbano setzen. Wir laden unsere Leser*innen mit dieser Ausgabe zu einer Reise ein, die sich der argentinischen Metropole von ihren Rändern aus nähert.

Neben dem Buenos-Aires-Schwerpunkt haben wir einen zweiten Themenblock im Heft, nämlich zur dramatischen Entwicklung in Nicaragua. Für die älteren Mitglieder der ila-
Redaktion und sicher auch für viele unserer Leser*innen war das sandinistische Nicaragua in den achtziger Jahren eine Hoffnung, dass ein selbstbestimmter Weg in eine demokratische und solidarische Gesellschaft möglich ist. Dass heute die Regierung Ortega, die aus der sandinistischen Revolution hervorgegangen ist, auf die Bevölkerung, vor allem die Jugend des Landes, schießen lässt, finden wir unerträglich. In einem langen Artikel und zwei ausführlichen Interviews berichten wir über die Hintergründe dessen, was derzeit in Nicaragua passiert. Der Nicaragua-Block ist auch ein Dialog zweier Generationen, denn in ihm kommen sowohl Menschen zu Wort, die in den achtziger Jahren in der Nica-Solidarität aktiv waren, als auch solche, die aus der heutigen Protestbewegung kommen.

Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in die traditionelle Sommerpause. Die nächste ila erscheint Mitte September. Wir wünschen unseren Leser*innen einen erquicklichen Sommer!

Schwerpunkt

4  Die Politik des gatillo fácil
Die verschiedenen Polizeieinheiten in Buenos Aires schießen schnell und haben wenig zu befürchten
von Ximena Tordini

7  Das Labyrinth von Buenos Aires
Der ganz besondere Stadtteil Barrio Parque Chas
von Alix Arnold

9  Kindheit in Villa Celina
Interview mit dem Autor Juan Diego Incardona über seine „Vorstadterzählungen“, die Krise des Barrios und das Verhältnis von Zentrum und Peripherie
von Patrick Eser

13  Ein Armenviertel ist ein extrem fremdes Milieu für mich
Interview mit dem Schriftsteller Ariel Magnus über seinen Roman La 31
von Patrick Eser

17  In Zavaleta lebt Kevin weiter
Ein gefeierter Dokumentarfilm beleuchtet die Situation in einem Armenviertel von Buenos Aires
von Mirra Banchón

19  Magischer Realismus
Die Olympischen Jugendspiele 2018 in Buenos Aires werden zehnmal so teuer wie vorhergesagt
von Sandra Schmidt

21  Die grüne Flut
Der lange Kampf für den legalen Schwangerschaftsabbruch in Argentinien
von Esther Andradi

23  Widerstand leisten, um zu existieren
Interview mit María Alicia Gutiérrez
von Esther Andradi

24  Kunst auf die Straße!
Die Kollektive Etcétera und GAC aus Buenos Aires betreiben Kunst als Einmischung
von Alix Arnold

26  Ein wunderbarer Journalist, Schriftsteller und politischer Aktivist
Interview mit Marcelo Figueras über seinen ermordeten Kollegen Rodolfo Walsh
von Sandra Schmidt

29  Liebe hat nichts mit Kindesraub zu tun
Eine Tochter von Verschwundenen aus Buenos Aires beschreibt, warum sie gegen die Personen klagte, bei denen sie aufwuchs
von Eugenia Sampallo Barragán

31  Wem gehört der Tango?
Der Tango in Buenos Aires zwischen Ausrottung der traditionellen Barrio-Milongas und seiner internationalen Kommerzialisierung
von María de las Nieves Puglia und Manuel González

33  Bücher für alle
Buenos Aires ist die Buchhandlungsmetropole
von Sandra Schmidt

36  Diese Messe ist kein Schaufenster
Die Punk-Buchmesse in Buenos Aires: Feria del Libro Punk & Derivados
von Patricia Pietrafesa

37  Zu Besuch bei einer „alten Schachtel“
Gespräch mit der aus Wien geflüchteten, in Buenos Aires aufgenommenen Thea Lüftig de Kersenbaum, die am 6. Januar 2018 hundert Jahre alt geworden ist
von Erich Hackl

Aufstand und Repression in Nicaragua

40  Zwischen politischem Aufbruch und Angst
Interview mit Professor Manfred Liebel über die derzeitige Lage in Nicaragua
von Gert Eisenbürger

44  Sie waren keine Verbrecher, sie waren Studenten!
Volksaufstand und Demokratieentwicklungen in Nicaragua
von Simón Terz

48   Er führte uns seine ganze Macht vor
Interview mit Madelaine Caracas von der neuen nicaraguanischen Studierendenbewegung
von Klaus Heß und Barbara Lucas

Berichte & Hintergründe

51   Kämpfe um Identitätsfragen sind neoliberal
Interview mit der bolivianischen Feministin María Galindo von Mujeres Creando
von Carmen Ibáñez Cueto und Britt Weyde

54   Im Schatten der Windspargel
Mexiko: Interview mit Alejandra Ancheita und Juan Antonio López von ProDESC zu Windparks und Menschenrechtsverletzungen
von Ina Hilse

57   Me too und Ni una menos fordern grundlegenden Mentalitätswandel
Aktuelle feministische Proteste und Streiks in Chile
von Sarah Moldenhauer

58   Die Macht des Stillstands, die Brasilien nicht kannte
Streik der Lkw-Fahrer legte das Land lahm
von Tayña Tagliati

Kulturszene

60   Es gibt Leute, die Schuhe oder Tortillas machen, ich mache halt Lieder
Honduras: Interview mit der Sängerin und Aktivistin Karla Lara
von Ina Hilse

Solidaritätsbewegung

62   Notizen aus der Bewegung, Impressum

Titelfoto: Aleposta

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