„Es ist schon toll, den Wasserhahn aufzudrehen und einfach trinken zu können.“ Ein ila-Redaktionsmitglied, seit über einem Jahr in Zentralamerika tätig und gerade zu Besuch, erlebt diesen Aha-Effekt: Frühere Selbstverständlichkeiten werden nach einer Zeit im Ausland als etwas Besonderes wertgeschätzt. Trinkbares Wasser frei zur Verfügung haben – ein Privileg. Das kühle, lebensspendende Nass, ein Topthema in diesem Sommer 2018 mit seiner Jahrhunderthitze, in dem sich der Klimawandel selbst dem dumpfsten Leugner ins Gehirn gebrannt haben sollte. Sonnenanbeter*innen und deutsche Winzer*innen mögen sich über die hiesige Hitze gefreut haben, anderswo haben zunehmende Dürren und Extremwetterlagen katastrophale Folgen.
Das Recht auf sauberes Trinkwasser ist ein Menschenrecht, das für über eine halbe Milliarde Menschen auf dem Planeten nicht gewährleistet ist. Und das von vielen Seiten unter Druck gerät, nicht nur aufgrund des Klimawandels. An erster Stelle steht die Landwirtschaft, genauer gesagt die weltweit vorherrschende industrielle (Export-)Landwirtschaft, die mit massivem Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und zum Teil sehr hohem Wasserbedarf produziert. Das hat auch das „Tribunal Latinoamericano del Agua“ festgestellt, das sich bereits vor 21 Jahren gründete, um Wasserkonflikte zu dokumentieren und anzuklagen. Die meisten Konflikte um Wasser entstünden in Folge von agrarindustrieller Verschmutzung, gefolgt von Bergbauprojekten, Staudämmen und Wassertransfers, also von umgeleitetem Wasser, das in die Landwirtschaft oder die Versorgung der immer weiter wachsenden Städte fließt. Wenn das Wasser in den Städten nicht von weither rangeschafft wird, sondern in immer tieferen Schichten nach Wasser gesucht wird, dann können solche Situationen wie in Mexiko-Stadt entstehen: Die dortigen Erdbeben werden immer öfter nicht durch seismografische Erschütterungen ausgelöst, sondern durch Bodenabsenkung – neben den sehr speziellen Bodenbedingungen vor Ort, hervorgerufen durch dichte Besiedelung und eben massive Wasserentnahme.
Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sind im ländlichen Lateinamerika, in finanzschwachen Kommunen, oft noch weniger garantiert. Nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung ist der Staat bei der Grundversorgung vielerorts nicht präsent. Oder noch schlimmer: Windige Politiker springen auf den Privatisierungszug auf, nutzen die prekäre Versorgungslage aus und machen ihre eigenen Geschäfte mit der lebensnotwendigen Flüssigkeit, so geschehen etwa im salvadorianischen Quebrachos.
Gegen Versuche, das Wasser zu privatisieren, hat es schon immer Widerstand gegeben, erinnert sei allein an den „Wasserkrieg“ im bolivianischen Cochabamba im Jahr 2000. Auch gegen aktuelle Privatisierungspolitik, etwa in El Salvador, Uruguay und Mexiko, gehen die Leute heute zum Teil massiv auf die Straße. Obwohl Regelungen und Gesetze zum Schutz des Wassers erkämpft worden sind und es das Menschenrecht auf Wasser sogar in einige Verfassungen geschafft hat, sind wie so oft Einhaltung, Umsetzung und Überprüfung das große Problem.
Und, wie gesagt, das herrschende Produktionsmodell konterkariert alles. Hierzu-lande macht zum Beispiel immer wieder neues „Superfood“ Karriere – aber nur wenige kümmern sich darum, dass die leckeren Heidelbeeren und Avocados andere Regionen der Welt, sei es Spanien, Chile oder Nordmexiko, buchstäblich austrocknen lassen. Wir sprechen also von Wasserexport in Form von Früchten beziehungsweise von virtuellem Wasserkonsum, also von dem Wasser, das bei der Produktion und dem internationalen Transport verwendet wird. Im Durchschnitt verbrauchen Westeuropäer*innen rund 4000 Liter virtuelles Wasser täglich und 125 Liter reales Wasser (aus der Leitung). Bei den Lebensmitteln brauchen Kakao, Kaffee und Fleisch am meisten Wasser. Auch Konsumgüter haben viel „Durst“: Ein Baumwoll-T-Shirt braucht 4100 Liter, eine Jeans 11.000 Liter, ein PC 20.000 Liter und ein Auto rund 400.000 Liter.
Wasser ist und bleibt also ein Dauerbrennerproblem. Und alle tragen mit ihrer Lebensweise und ihrem Konsum Verantwortung.