Wäre die ila ein Magazin mit durchgehend vierfarbigen Fotos, dann würde diesen Monat eine Farbe das Heft dominieren: Grün. Das Grün der Halstücher, die die zwei Millionen Argentinier*innen trugen, die am 8. August 2018 im strömenden Regen auf der Straße ausharrten, um einer Forderung Ausdruck zu verleihen, die sich seit Jahren ihren Weg in die argentinische Öffentlichkeit bahnt: für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche. Das Grün der Halstücher, T-Shirts und Transparente der Aktivist*innen in Asunción, Bogotá, Lima, Mexiko-Stadt, Montevideo, Santiago de Chile, San José und Quito, die sich vor argentinischen Botschaften mit den Pionier*innen des südamerikanischen Landes solidarisierten.
Grün ist die Farbe eines neuen feministischen Aufbruchs in Lateinamerika. Zwar gibt es in Lateinamerika schon seit langem klassische Demos, Ansprachen und Publikationen, etwa zum Internationalen Frauentag am 8. März, doch bei den gegenwärtigen Bewegungen und Debatten um Gender und Frauenrechte in verschiedenen Ländern des Kontinents sind neue Themen wichtig geworden und die Formen des Protests und Aktivismus haben neue Qualitäten angenommen: Als erstes ist da die sehr breite und diverse, Monate andauernde Mobilisierung für die Legalisierung der Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien zu nennen. Dabei knüpft diese Bewegung an die drei Jahre zuvor gestarteten, ebenfalls riesigen Kundgebungen gegen Frauenmorde und sexualisierte Gewalt an (NiUnaMenos). Und Kampagnen gegen sexuelle Belästigung und sexistische Politiker oder Medienleute verbreiten sich vor allem stark über die sozialen Medien und die Proteste sind längst nicht mehr auf Argentinien begrenzt.
Bei hiesigen Debatten über Frauenrechte und Emanzipation wird oft der Eindruck vermittelt, dass es im „fortschrittlichen Westen“ sehr gut um die Rechte von Frauen bestellt sei. Zum Vergleich werden andere Weltregionen angeführt, in denen noch viel weniger von Geschlechtergerechtigkeit die Rede sein könne. Doch bestimmte Entwicklungen sind universell. Rechte Ideologen wettern überall immer lauter gegen „Gender-Wahn“ und auch in Lateinamerika werden neue vehemente Kämpfe geführt, gegen sexuelle Belästigung, für Frauenrechte, für Gleichheit. Die dortigen Kampagnen und Bewegungen ergeben ein beeindruckendes Bild von unermüdlich aktiven Menschen, die existierende Missstände anprangern, sowie von den vielfältigen Aktionsformen der neuen Generationen.
Was passiert dort gerade, was ist neu daran, welche Kämpfe überraschen oder beeindrucken uns? Aber auch: Was steht noch aus, in welcher Hinsicht ist die (rechtliche) Situation exakt wie vor 20 Jahren oder gar rückschrittlicher, gerade angesichts der in vielen lateinamerikanischen Ländern wieder Aufwind bekommenden politischen Rechten? Brasiliens frisch gewählter rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro ist nur das krasseste Beispiel für diese Entwicklung. Auch die bis vor gar nicht so langer Zeit noch als „links“ gelabelte Regierung von Ortega-Murillo in Nicaragua ist mittlerweile offen autoritär, antidemokratisch, repressiv und steht, was Frauenrechte anbelangt, seit Jahren schon ganz weit rechts.
Mit unserem Schwerpunkt „Neue feministische Aufbrüche“ wollen wir jungen und alten, an Feminismus, Frauenbewegung und Frauenrechten interessierten Personen das spannende Panorama an aktuellen Bewegungen, Kämpfen und Debatten in Lateinamerika näherbringen. Diese neuen Aufbrüche können die hiesige Wahrnehmung relativieren helfen und Inspiration für ähnlich gelagerte Diskussionen und Kampagnen auch bei uns sein.
Wie in jedem Jahr liegt der November- und Dezember-ila unser Brief mit der Bitte um Unterstützung bei. Wir freuen uns immer, wenn es darauf positive Reaktionen gibt, denn nur dann ist sichergestellt, dass die ila weiterhin erscheinen kann.