In den letzten beiden Monaten erleben wir in Deutschland eine neue Welle des Outings. Es geht aber diesmal nicht um sexuelle Orientierungen, sondern um das Outing prominenter Politiker als reaktionäre Spießer. Dabei hatten sie und ihre Personal-Trainer*innen so lange an bestimmten schönen Images gearbeitet, etwa NRW-Ministerpräsident Armin Laschet als ökologisch bewusster Schwarz-Grüner oder FDP-Chef Christian Lindner als dynamischer Erneuerer mit dem Ohr bei allem, was jung und trendy ist. Aber dann forderten an Freitagen einige zehntausend Schüler*innen auf Demos in ihren Städten längst überfällige Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels – und plötzlich war alles anders. Laschet, der schon bei den Auseinandersetzungen um den Braunkohletagebau im Hambacher Forst eine schlechte Performance hingelegt hatte, blamierte sich endgültig, als er die Kinder und Jugendlichen aufforderte, statt auf Demonstrationen besser in die Schule zu gehen. Genauso Lindner, der den Schüler*innen empfahl, Klimapolitik besser den Profis aus der Politik zu überlassen.
Letzteres ist aber seit nunmehr 30 Jahren das Problem. Politiker*innen reden beständig vom Klimawandel und davon, dass man diesem entschieden begegnen müsse. Wenn es aber um die dringend notwendigen konkreten Maßnahmen geht, präsentieren sie sich als Büttel der Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf dem ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen basiert. Nun könnte man einwenden, dass die Politiker*innen bei uns, wenn man mal von der AfD absieht, den Klimawandel immerhin noch als Gefahr benennen. Anderswo wird er schlichtweg geleugnet oder als zu vernachlässigende Größe abgetan. Das gilt nicht nur für US-Präsident Trump, sondern auch für immer mehr Staatsoberhäupter in Lateinamerika. Jüngstes Beispiel ist Brasiliens Präsident Bolsonaro, für den der Klimawandel kein nennenswertes Thema ist. Deswegen macht er sich auch für eine beschleunigte Entwaldung Amazoniens stark. Die Region müsse nicht geschützt, sondern „entwickelt“ werden, und die dort lebenden Indigenen hätten ohnehin zu viel Land, das weitaus besser genutzt werden könnte.
Die Entscheidung, uns nach den Anden (ila 395, Mai 2016) länderübergreifend mit Amazonien, einer weiteren Großregion Lateinamerikas, zu beschäftigen, fiel schon lange vor der Wahl Bolsonaros. Doch nun erhält das Thema eine neue Aktualität. Amazonien, das heißt die Region, die vom Amazonas-Flusssystem bestimmt ist, besteht jedoch nicht nur aus Brasilien, sondern umfasst Teile der Territorien von sieben weiteren Ländern (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela, Guyana, Surinam) sowie des französischen Überseedepartements Guyane.
In allen genannten Ländern ist das ökologische Gleichgewicht durch Infrastrukturprojekte und eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung gefährdet. Und allerorten sind auch die Lebensgrundlagen der an und von den Flüssen lebenden Menschen, den ribeirinhos bzw. ribereños (Flussanwohner*innen), den Indigenen und den Afro-Gemeinschaften, bedroht. Um deren Wohlergeben und Perspektiven geht es nur sehr selten, wenn von der „Entwicklung“ der Amazonasregion die Rede ist.
Der vorliegende Schwerpunkt „Amazonien“ zeigt aber auch, dass diese Region ein uralter Kulturraum ist und dort seit Jahrtausenden Menschen gelebt haben, die es verstanden, die Lebensräume und ihre Ressourcen zu nutzen, ohne sie zu zerstören. Heute sind das ökologische Gleichgewicht und die Lebensräume der traditionellen Bewohner*innen Amazoniens aufgrund rücksichtsloser Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gefährdet – keineswegs wegen der Anwesenheit von Menschen an sich, wie manche konservative Umweltorganisationen glauben machen wollen, die Land kaufen und zu Schutzzonen erklären.
In Amazonien wie bei uns und weltweit geht es um ein Zivilisationsmodell, das die vorhandenen Ressourcen gebraucht, aber nicht verbraucht. Das bedeutet, dass vor allem wir unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten verändern müssen.