Mit dieser ila feiern wir ein kleines Jubiläum. Vor genau 25 Jahren erschien unsere erste „Städteausgabe“, die ila 177 mit dem Schwerpunkt „Buenos Aires – Gesichter einer Metropole“. Seitdem geht es in jeder Juli/August-ila entweder um eine bestimmte Stadt, eine Gruppe von Städten oder um übergreifende urbane Themen wie zum Beispiel Gentrifizierung.

Diesmal stehen „Grenzstädte“ im Fokus. Lange bevor ein albern frisierter US-Präsident die Südgrenze des von ihm regierten Landes zur Mutter aller Probleme stilisierte und zum Joker seiner Wahlkämpfe machte, war die Lage dort alles andere als entspannt. Denn sowohl der Handel mit in den USA unerwünschten Produkten als auch die Einreise von dort unerwünschten Menschen verlief und verläuft über diese Grenze. Die wurde zwar in den letzten Jahrzehnten immer mehr militarisiert und zahlreiche Schlupflöcher wurden geschlossen, dennoch blieben der Drogenhandel und die klandestine Migration auf einem konstant hohen Niveau.

Auch wenn die mexikanisch-US-amerikanische Grenze immer wieder ins mediale Interesse rückt, ist es keineswegs die einzige Grenze des amerikanischen Kontinents, wo es Konflikte gibt. Und die Probleme sind überall vergleichbar: einerseits Migration, andererseits Schmuggel und Handel mit illegalen Produkten. Migration ist immer dort ein konfliktträchtiges Thema, wo die Einkommensperspektiven und ökonomischen Unterschiede zwischen benachbarten Ländern erheblich sind und wo reaktionäre Politiker*innen im jeweils wohlhabenderen Land systematisch Ängste und Ressentiments schüren. Und der Handel mit illegalen Produkten und Substanzen läuft, solange es Nachfrage danach gibt.

In den Grenzstädten konzentrieren sich viele der Probleme, die es an den Grenzen gibt. Hier warten Migrant*innen oft über Wochen und Monate, um einen Weg zu finden, auf die andere Seite zu kommen. Und hier hat die Organisierte Kriminalität ihre Strukturen und Leute, die ihre Handelswege kontrollieren beziehungsweise ständig neue Wege erschließen.

Gleichzeitig sind viele Grenzstädte Zentren des legalen Warenverkehrs, der in den letzten Jahrzehnten mindestens so stark gewachsen ist wie der illegale Handel. Hier finden sich die meisten Übergänge und Abfertigungsstellen des grenz-überschreitenden Warenhandels. Der läuft überwiegend im großen Stil mit Lkw-Flotten und dort, wo Bahnlinien existieren, auch mit Güterzügen. Daneben gibt es aber auch Zehntausende kleiner Händler*innen, die regelmäßig die Grenzen mit Taschen und Handkarren passieren, um ihre Waren auf Märkten auf der anderen Seite feilzubieten. Wobei „ihre Waren“ keineswegs immer bedeutet, dass sie Produkte aus ihrem Herkunftsland im Nachbarland verkaufen. Oft bringen sie auch aus Europa oder Asien importierte Produkte über die Grenze, weil die bei ihnen aus unterschiedlichen Gründen günstiger zu haben sind als im Nachbarland.

Der expandierende Handel bietet vielen Leuten eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, im Großen wie im Kleinen. Deshalb sind die meisten Grenzstädte in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen, teilweise überhaupt erst entstanden. Wo vor 30, 40 Jahren nur kleine Dörfer waren, gibt es heute Städte mit mehreren zehntausend oder gar hunderttausend Einwohner*innen. Menschen aus verarmten ländlichen Regionen strömen in die neuen Städte in der Hoffnung, dort Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Fast nie wächst die städtische Infrastruktur im gleichen Umfang wie der Handel. Viele der neu entstehenden Siedlungen sind nicht an die Wasser- und Elektrizitätsversorgung angeschlossen, von Abwassersystemen ganz zu schweigen. Auch die Gesundheitsversorgung und die Anzahl und Qualität von Schulen sind vielerorts unzureichend.

Grenzstädte sind immer auch Orte der Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Ländern, die Grenzen überqueren. Mitunter sind die Reiseströme einseitig: Für US-Amerikaner*innen ist es einfach, nach Mexiko rüberzufahren, um dort billig zu essen und zu trinken, einzukaufen oder – für eine männliche Klientel – Bordelle zu besuchen. Mexikaner*innen haben diese Möglichkeiten nur weitaus eingeschränkter. In anderen Grenzstädten, etwa an der brasilianisch-uruguayischen Grenze, fließen die Ströme in beide Richtungen. Da kaufen die Menschen dort ein, wo es gerade billiger ist. Brasilianer*innen gehen ins uruguayische Krankenhaus, weil das besser ist, und Uruguayer*innen besuchen Kurse und Bildungsangebote auf der brasilianischen Seite, weil es dort (zur Zeit noch) vielfältigere Angebote gibt. Und die meisten sprechen im Alltag eine Mischung aus Spanisch und Portugiesisch, die alle gut verstehen.

P.S. Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns in die Sommerpause – die nächste ila erscheint dann wieder Mitte September.