Gesundheit ist ein Menschenrecht. In Lateinamerika ist der Zugang zu medizinischer Versorgung jedoch noch weitaus stärker als in Europa von den finanziellen Möglichkeiten derjenigen abhängig, die eine Behandlung brauchen. Menschen aus den Mittel- und Oberschichten, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, können sich eine gute medizinische Versorgung in Privatkliniken leisten, während die allgemein zugänglichen öffentlichen Gesundheitssysteme häufig unterfinanziert sind, sodass es an Pflegepersonal, Ärzt*innen, Kliniken, Ausstattung und Therapieplätzen fehlt. Deswegen werden Menschen aus ärmeren und armen Bevölkerungssektoren oft nur unzureichend medizinisch betreut. Zudem müssen die Medikamente vielerorts vollständig von den Patient*innen bezahlt werden, sodass finanzschwache Menschen not-wendige und verordnete Arzneien oft nicht bezahlen können.
Die Mitte-Links-Regierungen, die zwischen 2000 und 2019 in vielen südamerikanischen Ländern an der Macht waren, hatten ihren Wähler*innen eine bessere Gesundheitsversorgung versprochen. Vielerorts wurden auch wirkliche Verbesserungen erreicht, wobei das vorherrschende Modell der Zweiklassenmedizin nirgendwo wirklich aufgebrochen wurde.
Mit dem Amtsantritt konservativer und rechter Regierungen sind viele der erreichten Fortschritte gefährdet, teilweise gab es bereits schmerzliche Rückschritte. Am einfachsten funktioniert das durch Kürzungen der für das Gesundheitswesen zur Verfügung gestellten Finanzmittel. So sind die öffentlichen Ausgaben im Bereich der Gesundheit in den größten lateinamerikanischen Ländern, Argentinien und Brasilien, spürbar gesunken. Doch gegen die allgemeine Malaise im Gesundheitssystem regt sich Widerstand: am sichtbarsten derzeit im neoliberalen Musterland Chile, wo die Defizite im Gesundheitssystem zu den Themen der aktuellen Protestbewegung gehören.
Ein Teil der erreichten Verbesserungen in der medizinischen Versorgung in Bolivien, Brasilien, Ecuador oder Venezuela war dem Einsatz cubanischer Ärzt*innen und Pfleger*innen zu verdanken. Aus Brasilien hat Cuba nach dem Amtsantritt Bolsonaros sein medizinisches Personal aus Sicherheitsgründen bereits komplett zurückgezogen, was zu erheblichen Versorgungslücken vor allem in städtischen Armenvierteln und ländlichen Regionen, geführt hat. In Bolivien gab es nach dem Sturz von Präsident Evo Morales Angriffe auf cubanische Ärzt*innen. Darauf hat die cubanische Regierung auch aus Bolivien das medizinische Personal abgezogen. Die Regierung Ecuadors, die gegenwärtig Woche für Woche neue peinliche Unterwerfungsgesten in Richtung US-Regierung vollzieht (es wird bereits gemunkelt, dass Präsident Moreno am Ende seinen Vornamen von Lenín in Donald ändern wird), hat Ende November angekündigt alle cubanischen Mediziner*innen auszuweisen, ohne zu erklären, wer denn die Patient*innen künftig versorgen soll.
Neben der (etwas) besseren Ausstattung der öffentlichen Gesundheitssysteme haben einige der Mitte-Links-Regierungen, etwa in Bolivien und Ecuador, die Praktiken indigener Mediziner*innen aufgewertet. Dieser Prozess hatte jedoch bereits früher begonnen. Für viele arme Leute, die keinen oder nur einen unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, waren die traditionellen Heiler*innen immer unverzichtbar, dennoch wurde deren Arbeit – teilweise auf Druck medizinischer Standesorganisationen – häufig sogar kriminalisiert. Nun werden ihre Kompetenzen und Kenntnisse langsam anerkannt, und mitunter gibt es sogar Kooperationen zwischen akademisch ausgebildeten Mediziner*innen und indigenen Heiler*innen.
Neben der Arbeit am Gesundheitsschwerpunkt hat uns der Putsch in Bolivien – als solcher wird der erzwungene Rücktritt von der Mehrheit der Redaktion gesehen – in den letzten Wochen umgetrieben. Bei unseren Autoren Waldo Acebey, Gert Eisenbürger und Peter Strack, die in den letzten 20 Jahren den überwiegenden Teil der Bolivien-Berichterstattung der ila bestritten haben, gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen zu den Hintergründen des Endes der Regierung Morales, was übrigens nichts an der gegenseitigen Wertschätzung der Autoren ändert. Wir denken, dass kontroverse Einschätzungen kritisch diskutiert werden müssen, denn nur so können wir – und damit meinen wir nicht nur die ila-Redaktion, sondern alle, die sich solidarisch mit Lateinamerika beschäftigen – weiterkommen. Deswegen gibt es in dieser ila einen Block mit drei Beiträgen, welche die Entwicklung in Bolivien aus sehr unterschiedlichen Perspektiven analysieren.
Die ila 431 ist die letzte Ausgabe in diesem Jahr. Auch bei uns gibt es eine Winterpause. Wir melden uns Mitte Februar mit der ila 432 zurück. Allen Leser*innen wünschen wir jetzt schon einen entspannten Jahreswechsel. Wie immer in den beiden letzten Ausgaben des Jahres liegt dieser ila unser Brief mit der Bitte um Unterstützung bei. Wir würden uns freuen, wenn es auch in diesem Jahr viele positive Reaktionen darauf gäbe.