Einweg sei die Vergangenheit, Mehrweg und Wiederverwendbarkeit die Zukunft. So zumindest verkündet es die Werbung der großen Handelsketten und bietet gleich die passenden Produkte an: wiederverwendbare textile Gemüsebeutel, Brötchentüten, Tragetaschen oder Küchenrollen. Mit kleinen Dingen könne man anfangen, die Welt zu verändern.

Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die reale Entwicklung nicht in die umgekehrte Richtung liefe. Beispiel: Mode- und Bekleidungsbranche. Vier bis sechs Mal werden neu gekaufte T-Shirts, Hemden oder Blusen hierzulande im Durchschnitt getragen. Modetrends wechseln in immer kürzeren Intervallen. Also wird immer mehr produziert, ganz überwiegend in Ländern des Südens mit besonders niedrigem Lohnniveau oder in reicheren Ländern in halb- oder illegalen Betrieben unter übelsten Arbeitsbedingungen.

Darum wird es in diesem Heft auch gehen. Aber nicht nur. Bei den Diskussionen um einen Schwerpunkt zu Textilien schälte sich heraus, dass Kleidung einerseits immer mehr zum Wegwerfprodukt wird, andererseits für viele Menschen weitaus mehr darstellt. In vielen indigenen Gemeinschaften wird die traditionelle Webkunst seit Jahrhunderten gepflegt, fortentwickelt und von einer an die nächste Generation weitergegeben. Diese Textilien sind nicht einfach Produkte des täglichen Bedarfs, sondern sie erzählen Geschichten, überliefern Mythen, Erfahrungen im Umgang mit der Natur und reflektieren gesellschaftliche Entwicklungen, das heißt, sie tun genau das, was das Wesensmerkmal jeder Kunst ist.

Während die anspruchsvolle Herstellung von Textilien im andinen Raum oder im Amazonastiefland auf eine lange Geschichte zurückblickt, gibt es auch Beispiele indigener Textilkunst, die noch relativ jung sind, wie die faszinierenden Molas der Guna-Indígenas in Panama und Kolumbien. Sie entstanden erst vor gut 100 Jahren, als die Guna, die bis heute weder Viehhaltung und Wollwirtschaft betreiben, noch Textilfasern aus Pflanzen gewannen und über Handel Zugang zu Stoffen bekamen.

In dieser ila stehen zwei sehr unterschiedliche Formen der Produktion von Textilien nebeneinander, die kunsthandwerkliche und die industrielle. Gemeinsam ist beiden, dass diejenigen, die die Textilien herstellen, fast ausnahmslos Frauen sind. Das mag ein Grund dafür sein, dass die materielle Wertschätzung, die ihrer Arbeit entgegengebracht wird, durchgängig gering ist. Denn nicht nur die Arbeiter*innen in den großen Textilfabriken und den halb- oder illegalen Betrieben werden lausig entlohnt, auch viele traditionelle Weberinnen oder moderne Textilkünstlerinnen arbeiten und leben unter prekären Verhältnissen. Andererseits eröffnet die kunsthandwerkliche Arbeit mit Wolle und Stoffen indigenen Frauen in manchen Regionen erstmals einen Zugang zu Geldeinkommen und bedeutet ein Stück Unabhängigkeit. So reflektieren viele Beiträge in diesem ila-Schwerpunkt auch Geschlechterverhältnisse und Machtstrukturen in verschiedenen Kontexten von andinen Dörfern bis hin zu nordamerikanischen und europäischen Forschungseinrichtungen. Denn auch diejenigen, die sich wissenschaftlich mit Textilien befassen, sind ganz überwiegend Frauen – das gilt übrigens auch für die Autor*innen dieser ila.

Wie immer wäre auch dieser Schwerpunkt nicht ohne vielfältige Unterstützung von außen zustande gekommen. Dafür allen ganz herzlichen Dank! Ganz besonders möchten wir uns beim Team der Casa de la Solidaridad in El Alto bedanken, das sich trotz der aktuell extrem schwierigen Situation sehr für diese ila engagiert hat.

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