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Mit Aufkommen von Covid-19 wurde ein medizinischer Fachbegriff zum Allgemeinwissen: Zoonosen. Das sind die von Tier zu Mensch und umgekehrt übertragbaren Infektionskrankheiten. Vorherige zoonotische Viren wurden analysiert, ebenso die Frage, welche Faktoren zur Entstehung von Epidemien beitragen. Häufig stand und steht dabei die industrielle Tierhaltung in der Kritik (etwa bei der Schweinegrippe 2009 in Mexiko), ebenso das immer weitere Vordringen des Menschen in ursprüngliche Habitate von Wildtieren. Diese Debatten haben uns zu der grundsätzlichen Frage gebracht, wie das Zusammenleben von Mensch und Tier aktuell aussieht. Und wo es überall im Argen liegt.

Da sind zum einen die Wildtiere, mit denen zunehmend gehandelt wird. Dieser Handel ist nach dem mit Waffen und Drogen das drittgrößte illegale Geschäft weltweit, das zum Beispiel in der Amazonasregion eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen gibt es die Tiere, die mit Menschen zusammenleben. In den Andenländern sind die Kameltiere (Alpakas oder Lamas) wichtige Nutztiere für die Indigenen. Oder die kommunikativen Meerschweinchen, die als wichtige Proteinlieferanten millionenfach verspeist werden. In unserem Schwerpunkt wird das Cuy allerdings nicht als kulinarische Köstlichkeit präsentiert, sondern es kommentiert, zur Comic-Figur geadelt, die Abgründe der peruanischen Gesellschaft. Nutztiere können zu echten Gefährten werden, wie auch der Alpakahirte aus Peru erzählt, der mit seinen Tieren spricht und weint, wenn es ihnen schlecht geht. Das erinnert an die Geschichte eines Freundes über seine Beziehung zu einem Huhn, als er Kind war. Wenn er von der Schule nach Hause zurückkehrte, kam stets das Huhn angelaufen und begrüßte ihn.

Im krassen Gegensatz dazu ist die Ausbeutung des Federviehs für den blutrünstigen Hahnenkampf. Womit wir beim Einsatz von Tieren für die menschliche Zerstreuung wären. Zum Beispiel in Zoos. Die wollen zwar auch Wissen vermitteln, aber beim Privatzoo von Drogenboss Pablo Escobar am kolumbianischen Magdalena-Fluss stand wohl eher die Prahlerei als die Pädagogik im Vordergrund. Tierrechtler*innen konnten sich am 30. November über diese Nachricht freuen: Die UNESCO hat den Antrag der „Internationalen Vereinigung für Stierkampfkunst“ (AIT) abgelehnt, darüber zu entscheiden, ob der Stierkampf als Weltkulturerbe anerkannt wird. Die daraufhin ausgebrochene erbitterte Diskussion wurde in Spanien zum Trending Topic auf Twitter.

Das Pferd hat in der Region des Río de la Plata eine fast schon mystische Bedeutung, als treuer Begleiter des Gaucho, weswegen es nicht verwundert, dass gerade dort erbitterte Diskussionen über Tierrechte geführt werden: Die Kritik richtet sich gegen die Müllsammler*innen, die vor ihre Karren Pferde spannen, um den gesammelten Müll zum Recyclingplatz zu transportieren. Ein Beispiel für die Diskussion über das Verhältnis von Menschenrechten zu Tierrechten. Viele Veganer*innen, die auch in Lateinamerika auf dem Vormarsch sind, schreiben sich die Rechte der Tiere auf die Agenda. Vertreter*innen der Agrarökologie weisen jedoch zu Recht darauf hin, dass der völlige Verzicht auf Tierhaltung nicht zielführend ist. Eine begrenzte und an die Fläche gekoppelte Haltung ist letztlich unverzichtbar, um nachhaltige Nährstoffkreisläufe (Stichwort: Düngemittel aus tierischen Substanzen) aufrechterhalten zu können. Ein Widerspruch zur veganen Welt. Als Teil der Naturrechte spielen Tierrechte wiederum eine wichtige Rolle in indigenen Kosmovisionen, und der amerindische Perspektivismus entwirft eine radikale Alternative zur Betrachtung von Mensch und Tier.

„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandeln“, das wusste schon Mahatma Gandhi. Demnach sind alle Länder, die Tiere in Großmastanlagen quälen, moralisch ziemlich rückschrittlich. Argentinien schickt sich gerade an, mittels eines gigantischen Deals mit China zu einem Großexporteur von Schweinefleisch zu werden – auf Kosten von Tier und Mensch.

Mehrere Beiträge in diesem Schwerpunkt widmen sich der Darstellung von Tieren in der Literatur, sei es im Essay, im Roman, im Comic, im kunstvoll bebilderten Sachbuch für Kinder oder sogar in der Lyrik. Insofern hat uns die Beschäftigung mit dem facettenreichen und komplexen Verhältnis von Mensch und Tier viel Freude bereitet, trotz der häufig deprimierenden Gesamtlage der Tierrechte im Allgemeinen und des „Schweinesystems“ im Besonderen.

Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich die ila-Redaktion in die Winterpause, die nächste ila erscheint Mitte Februar 2021. Wir wünschen allen Leser*innen schöne, erholsame und kurzweilige freie Tage.