Der 3. Juni ist Weltfahrradtag: Das beschlossen die Vereinten Nationen 2018, um jedes Jahr auf die gesellschaftlichen Vorteile des Radfahrens hinzuweisen. Rund um das Datum finden oft Fahrradsternfahrten statt, auf denen bessere Radinfrastruktur oder auch mutigere Maßnahmen in Richtung Mobilitätswende gefordert werden. Viele Publikationen widmen sich dann gerne dem geliebten Zweirad. Unser Ausgangspunkt war jedoch ein anderer – die häufig schon vor der Pandemie unbefriedigenden bis katastrophalen Bedingungen für Mobilität in Lateinamerika und die Veränderungen, die durch Covid-19 stattgefunden haben.
Mobilität ist ein Grundbedürfnis wie der Zugang zu Wasser, Energie und Bildung. Eine Grundversorgung für alle sollte das gesellschaftliche Ziel sein. In lateinamerikanischen Städten müssen viele Menschen täglich lange Strecken bewältigen.
In der Pandemie hat der Radverkehr weltweit zugenommen, auch in lateinamerikanischen Großstädten. So hat es zum Beispiel in Lima einen Boom gegeben: Statt sich in volle Busse oder U-Bahnen zu quetschen, nutzen viele Menschen lieber das Fahrrad. Auch in Kolumbien setzen sich lokale Akteur*innen für bessere Fahrradfahrbedingungen ein. Befragt man die Bürger*innen nach ihren Motiven für den Umstieg auf’s Fahrrad, überwiegt meist die Unzufriedenheit mit der Qualität der öffentlichen Verkehrsmittel, die dazu meist in privater Hand sind. Die meisten, die zum Beispiel in Bogotá im letzten Jahr auf’s Rad umgestiegen sind, waren vorher mit den Öffis unterwegs. Für eine echte Verkehrswende braucht es jedoch auch Autofahrer*innen, die sich auf den Drahtesel schwingen.
Dass nicht noch mehr Leute auf das relativ preisgünstige, klimafreundliche und gesundheitsfördernde Rad umsteigen, liegt unter anderem an der in vielen Metropolen leider weit verbreiteten (wahrgenommenen) Unsicherheit. Das bezieht sich auf die Straßenverhältnisse, das Verhalten motorisierter Verkehrsteilnehmer*innen, aber auch auf Aspekte wie fehlende sichere Abstellplätze, Fahrraddiebstahl, Überfälle und sexualisierte Übergriffe.
Der öffentliche Raum ist in jeder Stadt eine knappe Ressource. Es gibt immer konkurrierende Interessen – Fußgänger*innen wollen breite Bürgersteige, Restaurants wollen mehr Außenplätze, Busse eigene Fahrspuren, Autofahrer*innen mehr Parkplätze. Der ehemalige Fahrradbeauftragte der Stadt Bogotá, David Uniman, stellte fest: „Fahrräder sind die umstrittensten Akteure, weil sie den lautstärksten – den Autobesitzern – Platz wegnehmen. Autobesitzer sind eine Minderheit, aber ihre Fahrzeuge beanspruchen den meisten Platz. Und den geben sie nicht gerne her.“ Das ist natürlich auch ein Ausdruck der Besitzverhältnisse: In Lateinamerika kommen Autobesitzer*innen fast ausschließlich aus der Ober- und gehobenen Mittelschicht, und die hat nach eigenem Selbstverständnis immer Vorfahrt vor anderen, ärmeren Verkehrsteilnehmer*innen.
Bis es in allen lateinamerikanischen Städten eine Wende hin zu einer menschen- und klimafreundlicheren Verkehrspolitik gibt, muss also noch viel passieren. Wir sehen auch hierzulande, in welchem Schneckentempo fahrradfreundliche Maßnahmen umgesetzt werden.
Dennoch spielt das Fahrrad in Lateinamerika eine wichtige Rolle, auch außerhalb des Stadtverkehrs: auf dem Land, im Tourismus, in der Freizeit oder im Profisport. Oder bei denen, die aus ihrer Passion einen Beruf gemacht haben, den Fahrradkurier*innen. Deren Arbeitsbedingungen sind mindestens ähnlich prekär wie in Europa.
Da der Juli der Monat eines großen radsportlichen Events ist, der Tour de France, und außerdem die Sommerferien vor der Tür stehen, für die vielleicht die eine oder der andere ila-Leser*in eine Radtour plant, hat uns das Thema „Auf’s Rad“ förmlich laut angeklingelt. In diesem Sinne:
Fahrradbegeisterte aller Länder – vereinigt euch! Und allen, auch denen, die nicht Rad fahren, wünschen wir eine erholsame Sommerzeit. Passt auf euch auf und bleibt gesund. Die nächste ila nach der Sommerpause erscheint Mitte September.