453

Nach dem Beginn der Aggression ihrer Regierung und ihres Militärs in der Ukraine haben russische Feministinnen ein Manifest gegen den Krieg veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Der gegenwärtige Krieg wird, wie Putins Ansprachen zeigen, auch unter dem Banner jener von Regierungsideologen verkündeten ‚traditionellen Werte‘ geführt, die Russland in der ganzen Welt missionarisch zu verbreiten vorgibt, indem es Gewalt gegen diejenigen anwendet, die sich weigern, diese Werte zu akzeptieren oder andere Ansichten vertreten. Alle, die zu kritischem Denken fähig sind, verstehen, dass zu diesen ‚traditionellen Werten‘ die Ungleichheit der Geschlechter, die Ausbeutung der Frauen und die staatliche Unterdrückung von Menschen gehören, deren Lebensweise, Selbstverständnis und Handeln solch engen patriarchalischen Normen nicht entsprechen.“

Und weiter heißt es: „Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und fehlende Zukunft. Er ist unvereinbar mit den grundlegenden Werten und Zielen der feministischen Bewegung. Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft menschenrechtliche Errungenschaften um viele Jahre zurück. Krieg bringt nicht nur die Gewalt der Bomben und Geschosse mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt: Wie die Geschichte zeigt, steigt zu Kriegszeiten das Risiko, vergewaltigt zu werden, für alle Frauen um ein Vielfaches. Aus diesen und vielen anderen Gründen müssen russische Feministinnen und alle, die feministische Werte teilen, entschieden gegen diesen von der Führung unseres Landes entfesselten Krieg auftreten.“ (https://jacobin.de/artikel/feministinnen-in-russland-protestieren-gegen-putins-krieg-ukraine-invasion-putin-opposition/)

Dass sich Feministinnen gegen Kriege wehren, ist so alt wie die feministische Bewegung: Kämpfe gegen militärische Gemetzel, die Männer vom Zaun gebrochen hatten. Die Feministinnen, die für ökonomische und sexuelle Befreiung der Frauen eintraten, wussten besser als alle anderen, dass der Krieg und seine Verherrlichung des Heldentums das absolute Gegenteil ihrer Vorstellungen von einer freien und geschlechtergerechten Gesellschaft war und ist. Und zwar immer und überall. So ist sicher auch kein Zufall, dass die wichtigsten Kämpferinnen gegen Krieg und Militarismus in Deutschland und den USA Migrantinnen waren: die aus Polen stammende Rosa Luxemburg in Deutschland, die aus Russland stammende Emma Goldman in den USA. Sie wussten noch besser als ihre in patriotischen Milieus sozialisierten Schwestern und Mitkämpferinnen, dass das Gerede von Patriotismus und nationaler Ehre hohles Pathos waren. Sie konnten sich noch leidenschaftlicher über die Kriegsherren empören, die nonchalant bereit waren, Tausende in den Tod zu schicken, weil sie keine „Schwäche zeigen“ oder ihr „Gesicht wahren“ wollten.

So wie Feminismus und Antimilitarismus zusammengehören, haben auch Feminismus und Migration eine lange gemeinsame Geschichte. Immer wenn sich neue Bewegungen formieren, sind sie offener für Einflüsse und Erfahrungen von außen, als es bei älteren, eher eingefahrenen Bewegungen der Fall ist. Das galt/gilt auch für die alte und die neue feministische Bewegung. Aber gemeinsame Geschichten bedeuten immer auch gemeinsame Reibungspunkte. Denn wenn unterschiedliche Erfahrungen, Arbeitsschwerpunkte und soziale Milieus aufeinandertreffen, kann das ungemein befruchtend sein, es stellen sich aber fast zwangsläufig auch Widersprüche und Missverständnisse ein. Schließlich ist es für alle Aktiven von zentraler Bedeutung, ihre jeweiligen Diskriminierungserfahrungen zu thematisieren sowie ihre Identitäten und Erfahrungen zu bewahren. So ist selbstverständlich, dass in Europa lebende lateinamerikanische Feminist*innen sich entlang ihrer Themen organisieren und zusammenschließen. In den letzten Jahren ist dadurch eine vielfältige lateinamerikanische–feministische Szene in Europa entstanden. Mit einigen ihrer Protagonist*innen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Finnland und im spanischen Staat sind wir in den letzten zwei Monaten in Kontakt getreten und haben sie um Artikel und Interviews gebeten. So können wir zum Internationalen feministischen Kampftag am 8. März einen spannenden Themenschwerpunkt vorlegen, der uns und unseren Leser*innen viele erhellende Einblicke eröffnet.