Seit es die ila gibt, hat die Berichterstattung über Landkonflikte ihren festen Platz in unserer Zeitschrift. Und es gab auch schon mehrere Schwerpunkte, die unterschiedliche Aspekte der politischen und soziale Kämpfe in den Agrarregionen beleuchteten. Dennoch finden wir es nötig, uns in einem Schwerpunkt den „Neuen Landkonflikten“ zu widmen.

Nach wie vor werden in Lateinamerika Menschen, vor allem Indigene, von ihrem Land vertrieben. Weiterhin gibt es viele Leute, die gerne Äcker bebauen würden, um ihr Überleben zu sichern, es aber nicht können, weil sie kein Land haben. Immer noch gibt es mächtige Gruppen, denen das Schicksal der kleinen Produzent*innen und Landlosen völlig egal ist und die sich auf deren Kosten bereichern.

Also alles beim Alten? Keineswegs! Früher haben die traditionellen halbfeudalen Großgrundbesitzer*innen aus den „großen“ weißen Familien von den kleinen Produzent*innen Land geraubt, wenn sie es für die Vergrößerung ihrer Flächen, für den Anbau neuer Produkte oder für die Ausweitung der Viehzucht haben wollten. Oft ließen sie auch größere Teile ihrer Ländereien brachliegen, waren aber keinesfalls bereit, diese – auch gegen Entschädigung – Landlosen zu übereignen. Letztere konnten nur bei Bedarf als Arbeiter*innen oder Pächter*innen für sie schuften.

Das ist heute teilweise immer noch so, aber längst nicht mehr in dem Maße wie früher. Inzwischen sind neue Akteur*innen auf den Plan getreten und in die Kämpfe um Land involviert. Ein zentraler Unterschied zu früheren Zeiten ist, dass landwirtschaftlich nutzbares Land weltweit knapp geworden ist und in der Zukunft noch knapper werden wird. Hintergrund sind die wachsende Weltbevölkerung, der Klimawandel und der Rohstoffhunger der Industrien, vor allem im Norden, aber zunehmend auch in China, Indien und anderen Ländern, deren Industrialisierung rasch voranschreitet. Es gibt immer mehr Menschen, die essen wollen und auch nach aufwändiger zu erzeugenden Lebensmitteln (vor allem Fleisch) verlangen. Die kapitalistische Logik macht daher inzwischen Agrarflächen zum weltweiten Handels- und Spekulationsobjekt. Die Preise für landwirtschaftlich nutzbare Böden schießen überall in die Höhe. Internationale Unternehmen, Kapitalgesellschaften, Investmentfonds oder die organisierte Kriminalität kaufen weltweit Land auf. Diese Investitionen sollen Rendite abwerfen. Dafür müssen Produkte erzeugt werden, die auf den Weltmärkten hohe Preise erzielen. Wenn in einem dünn besiedelten Land mit guten Böden, wie etwa Uruguay, in nur wenigen Jahrzehnten mehr als 40 Prozent tder Agrarflächen von internationalen Kapitalgruppen übernommen wurde, beginnen sich sogar die traditionellen Großgrundbesitzer*innen Sorgen zu machen, auch wenn sie von den hohen Bodenpreisen noch profitieren.

Ein zentrales Thema in der Umstrukturierung der lateinamerikanischen Landwirtschaft und den daraus resultierenden Konflikten ist der Zugang zu Wasser. Egal ob die Böden zum Anbau lukrativer Agrarprodukte oder zur Viehzucht genutzt werden, darauf Forstwirtschaft betrieben wird oder Rohstoffe gefördert werden, immer braucht es viel Wasser. Und das wird – die Klimakatastrophe lässt grüßen – auch in den Regionen Lateinamerikas knapp, in denen es früher ausreichend vorhanden war. So sind die neuen Landkonflikte immer auch Wasserkonflikte. Kleinbauern und -bäuerinnen werden nicht nur vertrieben, weil man ihnen ihr Land wegnimmt, sondern immer häufiger, weil man ihnen das Wasser stiehlt, das sie zur Bearbeitung ihrer Äcker benötigen. Das gefährdet über kurz oder lang die Ernährungssicherheit ganzer Länder, denn weiterhin werden fast überall in Lateinamerika die lokal konsumierten Nahrungsmittel überwiegend kleinbäuerlich produziert. Das Wasser landet aber nun immer häufiger auf den Feldern der exportorientierten Agroindustrie, dient dazu, schnell wachsende Hölzer (vor allem Eukalyptus) zu bewässern oder Gold, Erdöl, Lithium und andere Bodenschätze zu fördern.

Eine weitere, allerdings Hoffnung machende Verän­derung: Die Kämpfe der Kleinbauern und -bäuerinnen und Indigenen werden zunehmend auch außerhalb ihrer Territorien wahrgenommen. Es ist ihnen gelungen, sich mit ihren Forderungen nach Anerkennung ihrer Rechte einen Platz im öffentlichen Diskurs zu erobern. Organisiert treten sie allerorten den alten und neuen Land- und Wasserräubern entgegen, um deren weiteren Vormarsch zu stoppen. Auch wenn heute die überwältigende Mehrheit der Lateinamerikaner*innen in Städten lebt, wird ein großer Teil der sozialen Kämpfe weiterhin, oder vielleicht mehr denn je, auf dem Land ausgefochten!

Mit dieser Ausgabe verabschieden wir uns wie üblich in die Sommerpause. Oder Sommer„pause“, denn wir werden sie nutzen, um unsere Büros weiter zu renovieren und an der Zukunft der ila zu tüfteln. Unseren Leser*innen wünschen wir eine erholsame Zeit. Die nächste ila erscheint Mitte September!